Klappentext:
Für Lea Sonnenfeld aus der
9 a ist nichts mehr so, wie es einmal war. Offensichtlich hat es jemand auf sie
abgesehen: Sie erhält anonyme Botschaften und wird Opfer übler Streiche. Lea
zerbricht sich den Kopf. Wer könnte einen Grund haben, ihr so etwas anzutun? Und
welche Rolle spielt dabei Marc, der Halbfranzose, in den sie unglücklich
verliebt ist?
Sie würde vollends verzweifeln, wenn sie Steffen Bonnig nicht
hätte, mit dem sie schon ihr Leben lang befreundet ist und der ihr immer zur
Seite steht.
Lea wünscht sich sehnlichst, dass der Terror aufhört. Und dass
sie endlich erfährt, wie es sich anfühlt, glücklich verliebt zu sein.
Erhältlich bei Amazon.
Leseprobe:
Kapitel 1
Lea Sonnenfeld warf einen Blick aus
dem Fenster. Draußen war es trübe und ungemütlich. Trotzdem hockte Steffen
Bonnig auf dem Mäuerchen, das die Gärten voneinander trennte. Dort saß er in
letzter Zeit häufig, als ob er auf etwas warten würde.
Sie schaute auf die
Uhr. Ihre Freundin Nele kam erst in einer Viertelstunde. Sie beschloss, kurz
hinauszugehen, um ein paar Worte mit Steffen zu wechseln.
Sie kannte ihn
schon seit ewigen Zeiten. Eigentlich von ihrem ersten Lebenstag an. Steffen war
einen Tag älter als sie. Sie wurden im selben Krankenhaus geboren, ihre Mütter
hatten sogar in einem Zimmer gelegen. Steffen und sie waren gemeinsam in den
Kindergarten gegangen, in die Grundschule, nun saßen sie zusammen in der Klasse
9 a des Paulus-Gymnasiums. Und sie hatten von Anfang an nebeneinander gewohnt.
„Hi, Steffen!“, rief sie, als sie durch die Terrassentür trat.
Steffen
fuhr zusammen, dann lächelte er. „Hi, Lea.“
Wie oft saßen sie auf diesem
Mäuerchen und quatschten über Gott und die Welt! Sie vertrauten sich ihre
Freuden, Sorgen, ihre Hoffnungen an und trösteten sich gegenseitig, zum
Beispiel, als Steffens Eltern sich getrennt hatten oder als ihr Opa gestorben
war. Steffen wusste mehr über sie als Nele. Nein, nicht mehr. Andere Dinge. Er
war wie ein Bruder für sie. Das war schön, denn Lea hatte keine Geschwister.
Steffen auch nicht.
„Was machst du heute?“, fragte er.
„Ich warte auf
Nele. Wir wollen in die Stadt gehen.“
„Ich komm mit.“ Steffen machte
Anstalten aufzustehen.
„Halt, warte.“ Lea legte die Hand auf seinen Arm, um
ihn zurückzuhalten. „Das ist keine gute Idee.“
Steffen saß ganz still.
„Nele will Klamotten kaufen“, fuhr Lea fort. „Das wäre zu langweilig für
dich, wenn sie endlos Sachen anprobiert.“ Sie zog ihre Hand zurück.
„Das
macht mir nichts aus. Währenddessen können wir beide uns ja in der Zeit
unterhalten.“
„Nee, du, ich muss Nele beraten. Sie wäre bestimmt sauer, wenn
du mitkämst.“
Steffen runzelte die Stirn.
„Sie hat nichts gegen dich“,
fügte Lea hastig hinzu. „Aber deine Kumpels wären auch wenig begeistert, wenn
ihr zusammen losziehen wolltet und ich plötzlich auftauchen würde .“
Ehe er
antworten konnte, stand sie auf. „Ich muss los.“
„Vielleicht können wir
morgen Nachmittag schwimmen gehen.“
„Vielleicht. Tschüss, Steffen.“
„Kommst du heute Abend wieder aufs Mäuerchen?“
„Mal sehen. Mach’s gut.“
Bevor Lea ins Haus ging, drehte sie sich um und winkte ihm zu. Steffen
starrte vor sich hin. Er war so in Gedanken versunken, dass er es nicht
bemerkte.
„Der ist in letzter Zeit irgendwie komisch“, dachte sie. „Woran
liegt das bloß?“
Als Nele kam, vergaß sie Steffen. Es gab dringendere Dinge
zu besprechen: Carolins Geburtstagsfete am Samstag zum Beispiel. Was Lea
anziehen würde, war sonnenklar: ihre neue schwarze Hose, dazu das rosaglitzernde
langärmlige Shirt mit dem V-Ausschnitt.
Nele war mit dieser Wahl sehr
einverstanden. Was sie selbst anziehen würde, stand noch nicht fest. Das mussten
sie erst mit vereinten Kräften herausfinden.
„Du hast es gut!“ Lea
betrachtete ihre Freundin mit neidvollem Blick. „Du kannst alles anziehen, was
du willst. Auch hautenge Sachen. Ich dagegen mit meiner Wampe …“
„Du
übertreibst! Dein Outfit steht dir wirklich sehr gut“, meinte Nele tröstend.
Die beiden Mädchen machten sich auf den Weg. „Ich habe übrigens was gehört,
was dich sehr interessieren wird“, begann Nele. Ihre Stimme klang
verheißungsvoll.
Gespannt blickte Lea sie an.
„Du wirst dich freuen.“
„Nun spann mich nicht so auf die Folter!“
„Rate, wer am Samstag auch auf
der Fete sein wird.“
Lea blieb wie angewurzelt stehen. „Du meinst …“
Nele nickte.
„Woher weißt du das?“
„Ich habe gehört, wie er zu
Carolin gesagt hat, dass er kommt.“
„Bist du sicher? Hast du dich auch
bestimmt nicht verhört?“
Nele knuffte sie in die Seite. „Ich bin ganz
sicher. Außerdem: Ich habe Marc nach der Schule gesehen und ‚Bis Samstag‘ zu ihm
gesagt. Da hat er ‚Bis Samstag‘ geantwortet.“
Sie schlenderten weiter. „Wenn
ich nur wüsste, was er von mir hält“, überlegte Lea laut. „Manchmal habe ich das
Gefühl, er mag mich. Zum Beispiel wenn wir zusammen Französisch haben und er
mich so komisch anguckt. Dann wieder gibt es Tage, an denen er mich überhaupt
nicht beachtet.“
„Möglicherweise findest du es am Samstag heraus?“
„Marc
Sarré“, sagte Lea träumerisch, „das klingt einfach nur toll!“
Nele kicherte.
„Ich glaube, selbst wenn er Hans-Otto Hundekacke hieße, würdest du es
wunderschön finden.“
„Komm, Nele! Gib’s zu: Er ist total süß! Diese
pechschwarzen Haare, die dunklen Augen …“
„Gibt es irgendetwas an ihm, was
du nicht total süß findest?“, erkundigte sich Nele lachend.
„Und er kann so
toll Französisch!“, fuhr Lea fort, als hätte sie nicht gehört.
„Na, das will
ich doch hoffen, wo sein Vater Franzose ist.“
Lea stöhnte. „Wenn ich dagegen
an mein Französisch denke ... Mehr als bescheiden, würde ich sagen.“
„Frag
ihn doch mal, ob er dir helfen kann!“
„Das habe ich auch schon überlegt.
Aber ich trau mich nicht … Außerdem habe ich Angst, dass er mich für doof hält.
Dieses ganze grammatische Zeug kapiere ich einfach nicht.“
„Quatsch!“,
schimpfte Nele sie aus. „Kein Mensch kapiert französische Grammatik.“
(...)
Eva Markert lebt in Ratingen bei Düsseldorf. Von Beruf ist sie Studienrätin mit den Fächern Englisch und Französisch. Außerdem besitzt sie ein Zertifikat für Deutsch als Fremdsprache und ist staatlich geprüfte Übersetzerin. In ihrer Freizeit arbeitete sie viele Jahre als Lektorin und Korrektorin in einem kleinen Verlag mit.
Zahlreiche Kurzgeschichten und Kindergeschichten von Eva Markert wurden in verschiedenen Hör- und Printmedien veröffentlicht. Ihre Kinder- und Jugendbücher sowie Romane und Kurzgeschichtensammlungen für Erwachsene sind bei Amazon und anderen Händlern erhältlich.
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Sonntag, 28. Juni 2015
Sonntag, 21. Juni 2015
Lovisa – Das Vermächtnis der Lil`Lu: Im Zeichen des Feuers von Marita Sydow Hamann
Romantasy
2. Band von 2 Lovisa Büchern. Die Reihe ”Das Vermächtnis der Lil`Lu“ wird insgesamt 5 Bände umfassen.
2. Band von 2 Lovisa Büchern. Die Reihe ”Das Vermächtnis der Lil`Lu“ wird insgesamt 5 Bände umfassen.
Lovisas bisheriges Leben ist völlig auf den Kopf gestellt, so viel ist in den letzten zwei Wochen geschehen - Visionen, die Vergangenes und Zukünftiges offenbaren, eine Entführung durch einen Unbekannten. Und ihre leibliche Mutter ist für sie in den Tod gesprungen, nachdem sie Lovisa Unfassbares offenbart hat.
Erik – der junge Dimensionsagent mit den ozeanblauen Augen, der sie magisch anzieht –, hat Lovisa mit dem Versprechen verlassen, zu ihr zurückzukehren. Doch Lovisa wechselt ebenfalls und folgt ihm in seine Realität. Dort warten gleich mehrere unangenehme Überraschungen auf sie …
Ab 14 Jahre
Erhältlich als Ebook und als Taschenbuch
Leseprobe:
Sie
versammelten sich vor vielen Tausend Jahren. Vier Frauen, wie sie unterschiedlicher
nicht sein konnten, standen sich in einem magischen Zirkel gegenüber – eine
Hexe, ein Mensch und eine Nephilim – Erde, Wasser und Luft. Braun, blau und gelb.
Und eine Lil`Lu in einem roten Gewand. Sie repräsentierte die Schöpfungskraft.
Die Kraft derjenigen, die man einst Engel taufte – das Feuer.
Vier
Elemente, um das Unheil aufzuhalten. Vier Frauen für ein Ziel – die Rettung der
Schöpfungskraft. Die Rettung der Engel!
In
der Mitte des magischen Zirkels lag ein ledergebundenes Buch auf einem
podestähnlichen Stein. Ein silbernes Leuchten drang aus seinem Inneren, während
die vier Frauen die Kräfte der Universen anriefen.
Ein
Windzug fuhr durch die mit Fackeln erleuchtete Grotte, strich um die Beine der
Frauen, blähte ihre Gewänder, ließ ihre Haare verwehen und zentrierte sich dann
über dem silber leuchtenden Buch. Es fing an zu glühen, schien Feuer zu fangen,
Flammen schlugen empor. Der Wind nahm an Stärke zu, ließ die Flammen
emporzündeln und erfasste den Einband des Buches wie mit unsichtbaren Fingern.
Das Buch öffnete sich schlagartig. Ein Lichtblitz entlud sich, dann blätterten
die Seiten rasend schnell bis zu einer Seite vor, so, als hätte der Wind ein
Bewusstsein. Der Sturm beruhigte sich wieder. Die Flammen zogen sich zurück und
hinterließen lediglich ein schimmerndes Glühen.
Die
Lil`Lu in ihrem roten Gewand begann nun ihrerseits, silbern zu leuchten. Mit
hoch erhobenem Haupt und vorgestreckten Armen fing sie zu sprechen an, während
die drei übrigen Frauen – eine nach der anderen – in die Mitte des Zirkels
traten.
In der Schöpfung Kraft
vereint,
das Feuer durch mich
spricht.
Im Zeichen der Erde
geboren,
schenke uns das Licht.
Die
braun gewandete Hexe ließ sich vor dem Buch auf die Knie nieder, legte ihre
Hand auf die leere Seite und brannte ihr Zeichen hinein – ein Pentagramm.
Die
Lil`Lu wiederholte:
In der Schöpfung Kraft
vereint,
das Feuer durch mich
spricht.
Im Zeichen des Wassers
geboren,
schenke uns das Licht.
Die
Menschenfrau in ihrem blauen Gewand kniete sich hin. Flammen züngelten aus dem
Buch empor, ein Windstoß blätterte mehrere beschriebene Seiten vorwärts. Ein
neues leeres Blatt erschien. Die Frau legte ihre Hand auf die Seite und brannte
ihr Zeichen hinein – einen Kelch.
Die
Lil`Lu sprach ihre Worte ein drittes Mal – rief das Element Luft an.
Die
Nephilim in ihrem gelben Gewand nahm den Platz vor dem Buch ein. Sie wartete,
bis der Windstoß ihr eine leere Seite zuwies und die Flammen sich beruhigten.
Ihr Zeichen war ein Dolch. Er brannte sich unter ihrer Handfläche in das
Papier.
Die
drei Frauen und die Lil`Lu schlossen erneut den Kreis um das Buch. Sie fassten
sich an den Händen und sprachen gemeinsam:
Eine Hochzeit der
Elemente,
Erde, Wasser und Luft,
gebrandmarkt durch
unsere Hände,
ein neues Zeitalter
ruft.
Das Schicksal führt sie
in Welten,
von Hoffnungsträgern
bewohnt.
Die Liebe wird ihnen
helfen,
Mut und Vertrauen, das
wird belohnt.
Um Leben werden sie
kämpfen,
um das Licht der
Schöpfung gar.
Hoffnung werden sie
schenken,
der, die uns einst
gebar.
Den Kreislauf zu
unterbrechen,
das ist eure Pflicht.
Die Existenz des Feuers
zu retten,
davor fürchtet euch
nicht.
Geht gemeinsam, Hand in
Hand,
durch die Flammen,
durch die Glut.
Eure Liebe in Liliths
Land,
wird sie bannen durch
das Blut.
Der
leichte Wind veränderte sich, wuchs in Sekundenschnelle zum Sturm. Er zerrte heftig
an den Seiten des Buches, blätterte sie vorwärts und rückwärts, bis eine
herausriss! Und noch eine …
Das
erste Blatt schwebte nach oben, dicht gefolgt von einer zweiten und dritten
Seite. Sie wirbelten umeinander, berührten sich, als ob sie ein letztes Mal
ihre Nähe spüren wollten, dann wurden sie erfasst und in drei entgegengesetzte
Himmelsrichtungen geschleudert. Drei grelle Lichtblitze blendeten die Frauen,
und die Blätter verschwanden im Nichts. Das Buch klappte mit einem Knall zu.
Schlagartig
erlosch das Feuer, kein Lüftchen regte sich mehr. Es war still in der Grotte,
wie in den Weiten der Universen.
Ich stand
auf einer Anhöhe und schaute in ein hell erleuchtetes Tal hinab, durch das sich
ein Fluss schlängelte. Der Strom wurde von zahlreichen Scheinwerfern erleuchtet
und schien in der Dunkelheit wie ein sich windendes Band zu glühen. Am
Flussufer sah ich ein Schloss. Die vielen Türmchen und Erker warfen ihre
Schatten auf die umgebende Graslandschaft. Nur wenige Bäume zierten den
Schlosshof, die ich nur schemenhaft gegen das Licht erkennen konnte.
Ich
erkannte es wieder – es war genau das Schloss, das ich in einer Vision gesehen
hatte.
Der
Anblick auf das Tal hinab war wundervoll – fast märchenhaft. Dieser Ort
strahlte Ruhe aus und Gastfreundlichkeit.
Ich
hatte so ein mulmiges Gefühl, als ich widerwillig den Hügel hinabging. Seltsam!
Mit jedem Schritt fühlte ich, dass hier etwas nicht stimmte …
Erik.
Denk an Erik. Und alles
wird gut,
hatte Ulrika gesagt. Ulrika, meine leibliche Mutter, die für mich in den Tod
gesprungen war. Ich sollte an Erik denken, um ihn zu finden.
Es
war so unglaublich viel geschehen in der letzten Woche. Ich hatte Erik
kennengelernt, einen Dimensionsagenten aus einem anderen Universum, der den
Auftrag gehabt hatte, Ulrika zurückzuholen. Seine Welt – Ulrikas Welt stand auf
dem Spiel, hatte er mir erzählt. Ulrikas Wechsel
in unsere Welt hätte einen Riss in sein Universum gerissen, der ständig wuchs
und bald seine Welt vernichten sollte. Was bisher niemand wusste, war, dass
diese Risse lebten. Es waren Lebensformen, die lediglich um ihr Überleben
kämpften. Auch mir fiel es schwer, das zu verstehen.
Aber
meine Mutter Ulrika hatte mir genau das gesagt. Nun gut, eigentlich hatte sie
es nicht wirklich ausgesprochen. Zu ihren Lebzeiten hatte sie es mir
unzusammenhängend zugeschrien, sodass ich nicht verstanden hatte, was sie
eigentlich wollte.
Ulrika
litt unter einer schweren Psychose, seit sie Zeuge davon wurde, wie ihr
Geliebter – mein leiblicher Vater – auf bestialische Weise ermordet worden war.
Damals – mit mir schwanger – war sie durch den Wechsel in meine Welt geflohen. Ulrika hatte aber die Geschehnisse
und den Wechsel niemals richtig
verarbeitet. Sie litt seitdem unter Verfolgungswahn und Visionen.
Ich
hatte Erik gesehen, bevor er das
erste Mal aufgetaucht war. Wir, Ulrika und ich, konnten Ereignisse aus der
Vergangenheit, aus der Gegenwart und sogar aus der Zukunft sehen. Ein großer
Schock für mich, die ich mit Vorliebe meine „Tagträume“ als Geschichten
aufschrieb – zumeist im Genre Horror und Thriller.
»Sie
sind wahr! Sie sind alle wahr!«,
hatte Ulrika geschrien.
Jetzt
wusste ich, was sie damit gemeint hatte: Unsere „Tagträume“ waren ernst zu
nehmende Visionen, und sie entsprachen der Realität.
Ulrika
wollte nicht zurück in ihre Welt. Sie konnte nicht. Weshalb, das erfuhr ich
erst nach ihrem Tod, als sie – haltet euch fest! – anfing, mit mir zu sprechen
… In meinem Kopf …
Ja,
ich weiß, das klingt irre. Aber ich schwöre, genau das tat sie, seit sie mir,
kurz vor ihrem Sprung in die Tiefe, all ihre Gedanken überlassen hatte. Obwohl
auch das verrückt klingt, hat Ulrika mir eine Bibliothek voll mit losen,
unsortierten Buchseiten vermacht – bildlich gesprochen. All ihr Wissen und ihre
Erlebnisse schwirrten nun in meinem Kopf herum, leider konnte ich nicht nach
Belieben darauf zugreifen. Stattdessen überkamen mich Bilder, Gerüche oder
ganze Szenen, die ich dann deuten musste. Und Ulrika fing an, mit mir zu
sprechen – ich hörte sie wirklich. Vermutlich nutzte mein Unterbewusstsein den
Inhalt ihrer Bibliothek, um mir auf diese Art Informationen zukommen zu lassen.
Aber da war ich mir nicht sicher. Vielleicht lebte ja ein Teil von Ulrika
tatsächlich in mir weiter. Eine seltsame Vorstellung, ebenso erbauend wie
erschreckend.
Ob
nun sie selbst oder ihr geistiger Abdruck: Durch eine Vision hatte ich
erfahren, dass ich Eriks Welt retten konnte, obwohl – laut Eriks Erklärungen – Ulrikas
Tod in meiner Welt das Ende seiner besiegelt hatte.
Ich
wusste aber jetzt, ich konnte wechseln,
ohne meine eigene Welt zu gefährden. Wenn ich wechseln würde, entstehe ein gefährliches Loch in unserem Universum
– ein Riss, der nur durch meine Rückkehr geschlossen würde. So Eriks Version.
Doch
jede Rückkehr in die eigene Welt verursachte den Tod einer Lebensform, denn –
wir erinnern uns – die Risse lebten! Deshalb hatte Ulrika auch nicht
zurückgewollt oder gekonnt. Sie sah diesen Riss als ihr Kind an, als ihren
Sohn. Er sollte weiterleben. Für ihn hatte sie riskiert, dass Eriks Welt mit
Millionen Menschen und Tieren über kurz oder lang explodieren würde …
Aber
es gab eine Lösung: mich, Lovisa Eberholm, siebzehn Jahre alt, aus Ljungby. Echt
abgefahren!
Ginge
ich an ihrer Stelle, dann könnte ich die Katastrophe aufhalten. Genau das hatte
sie in einer Vision gesehen. Genau das hatte ich durch sie in einer Vision
gesehen. Wenn ich gehen würde, dann würden sich meine und ihre Lebensform zu
etwas Neuem vereinigen, das nicht mehr wachsen kann.
Nein,
nicht neu, erinnerte ich mich. Nicht
etwas Neues, sondern etwas lange Vergessenes.
Was ist das?, hatte ich Ulrika gefragt.
Das wirst du für uns herausfinden,
mein Engel,
hatte sie geflüstert.
Ich
hatte gesehen: Was auch immer es war, es schien nicht mehr zu wachsen, sondern
in einem silberglänzenden Licht am Rande des Universums zu pulsieren.
Bist du sicher?, hatte ich wissen
wollen.
Ganz sicher, mein
Engel. Du kannst ihn retten. Ihn und seinesgleichen. Wer wechselt, kann nicht
wieder zurückkehren! Du kannst sie alle retten, nicht nur die Menschen. Du und
Erik. Ihr gehört zusammen. Geh und rette seine Welt. Rette meine Welt. Rette
sie alle. Erfülle deine Bestimmung … Denk an Erik, wenn du wechselst. Und alles
wird gut … Denk an Erik, vergiss das nicht … Und alles wird gut …
Erik
… Magneten … Ich wurde von ihm angezogen, als wäre Magie im Spiel. Mehrfach
hatte ich meinen verräterischen Körper verflucht, der auf eine unnatürliche
Weise an Erik gebunden schien. Ja, ich liebte ihn. Aber diese wundersame
Verbindung machte mir auch höllische Angst. Mal ehrlich, wenn eure Füße sich
verselbstständigen würden, obwohl euer Gehirn sagt, Nein, bleib stehen!, dann wärt ihr auch beunruhigt, oder?
Aber
was soll ich sagen? Ich war der Vision gefolgt. Ich sollte ein Universum retten
und eine neue Lebensform. Ich tat das Richtige, das hoffte ich zumindest. Ich
ließ alles zurück – meine Pflegeeltern, meine Freunde, meine Welt. Ich wechselte in ein anderes Universum – in
Ulrikas Welt. Zusammen mit Paps – meinem Pflegevater – hatte ich auf einer
Lichtung hinter unserem Haus in Småland gestanden. Ich hatte an Erik gedacht,
genau, wie Ulrika es mir gesagt hatte.
Das
gleißend helle Licht hatte mich umschlossen, genau wie in meiner Vision.
Ich
sah wieder das Schloss vor mir. Von einem Hügel blickte ich darauf hinab …
Siedend
heiß durchfuhr es meinen Körper. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte
auf das Schloss und den sich schlängelnden Fluss hinab. Ich hatte an das
Schloss gedacht! An das Schloss! Nicht an Erik! Oh, verdammt, das konnte nicht
gut sein …
Denk an Erik. Und alles
wird gut,
hatte Ulrika gesagt. Aber die Erinnerung an das Schloss hatte sich dazwischen
gedrängelt. Ich hatte nicht an Erik gedacht, sondern an das Schloss!
Denk an Erik, vergiss
das nicht …
So
ein verfluchter … Ich will all die Schimpfwörter, die ich zischend ausstieß, hier
nicht wiederholen, denn sie würden eine halbe Seite füllen.
Ich
hatte an Erik denken sollen, nicht an das Schloss. Daher auch mein mulmiges
Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er war nicht hier! Erik war nicht in diesem
Schloss. Er konnte sonst wo sein!
Nur
eines wusste ich mit Sicherheit: Ich ging in die verkehrte Richtung, denn je
weiter ich den Hügel hinabgegangen war, desto stärker hatte ich es gespürt.
Magneten. Wir waren wie Magneten, wir zogen einander an. Deshalb fiel es mir von
Anfang an schwer, zum Schloss hinunterzulaufen. Ich entfernte mich von ihm in
dem Augenblick, in dem ich in Richtung Schloss ging.
Nun
gut, das war zumindest ein Hinweis. Meine Füße zogen mich in seine Richtung. Ich
würde ihn finden können, ich bräuchte nur meinen Füßen zu folgen … grrr …
Wie
hatte ich das nur vermasseln können? Ich war in einer wildfremden Welt – konnte
nie wieder zurück –, und ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand.
Es
hätte so leicht sein können: an Erik denken, dem Magnetengefühl folgen, Erik
finden. Dann wäre alles gut gewesen. So viel zur Theorie!
Jetzt
erfasste mich das sehr penetrante Gefühl, dass nicht alles gut werden würde. Gerade, als ich überlegte, sofort
umzudrehen und meinen Füßen zu folgen (Wie weit war es bis zu ihm? Wovon sollte
ich leben?), da wurde ich am Arm gepackt und unsanft herumgezerrt. Alles gut verschwand in einer
sarkastischen Blase mit rosaroten Plüschumrissen. Ich fand mich Angesicht zu
Angesicht mit einer grimmig dreinschauenden Palastwache wieder …
»Du
hast uns gut gedient, Bruder Erik«, sagte der Großmeister des Ordens der Lil
anerkennend. »Doch nun ist es an der Zeit, eine neue Aufgabe zu übernehmen.
Deine Arbeit als Dimensionsagent hast du stets zu unserer Zufriedenheit
erledigt. Ulrika zum Wechsel zu
überreden, ging allerdings über deine Fähigkeiten hinaus.«
Er
seufzte. »Du bist unser bester Mann. Ich gehe davon aus, dass du alles dir Menschenmögliche
getan hast.«
Erik
stand stocksteif vor seinem Meister und versuchte, ein Stöhnen zu unterdrücken.
Ein heftiger Schmerz hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Nur durch einen
Kraftakt der Disziplin schaffte Erik es, den Impuls zu unterdrücken, sich an
die Brust zu fassen. Das Dolchtattoo brannte wie das heißeste Feuer, fraß sich
mit jeder Sekunde tiefer in sein Fleisch – das Zeichen des Lil-Ordens, eine
Warnung vor den Dämonen aus vergangenen Zeiten.
Lovisa.
Wie
war es möglich? Erik verstand nicht, was mit ihm geschah. Das Zeichen der Lil auf
seiner Brust hatte in Lovisas Welt immer dann gebrannt, wenn er ihr fern war.
Doch wie konnte er weiter entfernt sein als in einem anderen Universum?
Er
war gegangen, um seine Schwester Marit zu holen. Er war gegangen, in der
Absicht, danach mit Marit zu Lovisa zurückzukehren, da seine Welt dem Untergang
geweiht war. Er hatte seine Aufgabe, Ulrika zurückzubringen, nicht erfüllt. Der
Wechsel hätte freiwillig geschehen
müssen, doch Ulrika war in den Tod gesprungen und hatte damit das Schicksal
seines Universums endgültig besiegelt.
Als
Erik Lovisa durch den Wechsel in den
Bergen Norwegens verlassen hatte, da war er auf den furchtbaren Schmerz gefasst
gewesen. Er hatte erwartet, dass der Schmerz des brennenden Zeichens hier unerträglich
sein würde. Doch zu seiner Überraschung hatte ihn nur ein zartes Ziehen an die einstigen
Flammen erinnert.
Doch
nun – ohne Vorwarnung – war der Dolch entzündet worden und fraß sich in sein
Fleisch. Schweiß trat Erik auf die Stirn, während er die Zähne zusammenbiss und
ausharrte. Der Großmeister sprach. Niemand hatte das Recht, ihn zu
unterbrechen. Die Worte des Großmeisters waren wie Faustschläge in Eriks
Gesicht: Ihr bester Mann, gut gedient,
stets zu ihrer Zufriedenheit … Was für ein Hohn!
Als
Erik unverrichteter Dinge zurückgekehrt war, hatten die Worte anders geklungen.
Sein eigener Meister hatte ihn empfangen und ihn mit weniger netten Worten
bedacht. Da Erik ein Wechsler war,
wusste der Orden, Erik einzusperren, war keine Option. Ihr Druckmittel war
seine Schwester Marit, die ebenfalls dem Orden diente.
Marit
hatte bisher keinen Wechsel zustande
gebracht, genau wie die meisten Menschen in dieser Welt. Nur wenige hatten
diese Gabe. Für Ulrikas Heimkehr – und damit der Rettung dieser Welt – hatte
sein Meister ihm Marits Freiheit versprochen.
Marit
liebte den Grafen von Jotunheim, was ihr als Ordensschwester aber strengstens
verboten war. Doch Erik hatte versagt. Als Strafe hatte sein Meister Marit in
eine Zelle werfen lassen. Ihr Leid sollte Erik bestrafen. Ihre Gefangenschaft
sollte ihn an einer Flucht hindern. Der Orden klammerte sich mit letzter Kraft
an seine Macht, so, als ob ihre Welt weiter bestehen würde – trotz aller
wissenschaftlicher Informationen über Risse und das Ende der Welt.
Erik
verstand dieses Verhalten nicht. Wozu sollte das noch gut sein? Wozu noch Macht
ausüben? Erik hatte doch – wie alle Menschen dieser Welt – nicht mehr viel Zeit
und gar nichts zu verlieren.
Lediglich
aus reinster Willenskraft ließ Erik sich nichts anmerken. Hoch erhobenen
Hauptes und ohne mit der Wimper zu zucken, stand er vor dem Großmeister und
nahm seine nächste Aufgabe entgegen. Seinen Plan, Marit zu befreien, musste er
aufschieben. Heute konnte er froh sein, wenn der Dolch sich nicht quer durch
sein Herz brannte, um ihn leichenblass und mit starren Augen vor des
Großmeisters Füßen liegen zu lassen …
»Was
treiben Sie hier? Das Betreten des Schlosshofes ist verboten!«, klärte die
Wache mich unwirsch auf. Das hatte ich mir doch fast gedacht.
Ȁh
...«, brachte ich hervor. Was nun?
»Mitkommen«,
befahl der Mann, als ob ich eine Wahl gehabt hätte. Seine Finger umklammerten
meinen Oberarm wie ein Schraubstock.
Die
Wache trug eine Art Rittergewand, war gute zwei Köpfe größer als ich und
mindestens dreimal so breit. Das war ein Riese! Chancenlos fügte ich mich in
mein Schicksal. Aufgrund seiner Größe kam ich mir vor wie ein kleines Kind, das
beim Schokoladestibitzen erwischt worden war. Der Vergleich hinkte ein wenig,
denn mich erwartete sicher mehr als eine Rüge und ein tadelnd erhobener
Zeigefinger. Auf alles gefasst, biss ich die Zähne zusammen und ließ mich ohne
nennenswerte Gegenwehr auf das Märchenschloss zuführen, in dem bestimmt die
böse Hexe wohnte.
Anstatt
mir Gedanken über eine Flucht zu machen, registrierte mein etwas andersartiges
Gehirn jedes bedeutungslose Detail: Die Wache roch nach gebratenen Würstchen,
der Himmel am Horizont flimmerte durch die vielen Scheinwerfer im Schlosshof in
einem gespenstisch fahlen Licht, das Gras unter meinen Füßen machte bei jedem
Schritt raschelnde Geräusche, der Fluss floss lautlos – nicht einmal ein
Plätschern war zu hören –, und je näher wir an das Schloss kamen, desto stärker
wurde der Würstchengeruch. Mein Magen knurrte. Die Wache gab ein schnaubendes
Geräusch von sich, das durchaus zu einem Grinsen gehören konnte. Als ich zu dem
Mann aufsah, schaute er allerdings wieder mürrisch drein und schob mich unsanft
vorwärts.
»Wo
bringen Sie mich denn hin?«, versuchte ich ein Gespräch.
»Zum
Schloss«, brummte die Wache.
Ach
nee, dachte ich. Das wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen. Und der Kerl
hatte offenbar nicht vor, sich präziser auszudrücken. Ich seufzte und stapfte
weiter. Und ich verfluchte mich dafür, Erik nicht genauer über seine Welt
ausgefragt zu haben. Wir befanden uns zwar in Schweden – die Wache sprach
schwedisch –, aber welche Gesellschaftsform herrschte hier? Wie wurden
Eindringlinge bestraft? Welche Rechte hatte ich? Ich musste mir eingestehen,
rein gar nichts über Eriks Schweden zu wissen. Das konnte ja heiter werden.
Während
die Palastwache mich durch einen Dienstboteneingang schob, fragte ich mich, wie
die Wachen an Silvias Königshof in einem vergleichbaren Fall wohl reagieren
würden. Welche Strafe mochte einen Eindringling dort erwarten? Ich hatte nicht
die leiseste Ahnung. Das war eine Liga, in der ich nicht spielte. Ich war ein
einfaches Mädchen vom Lande. Mit Visionen. Doch davon wusste ja außer Amanda zunächst
niemand. Jetzt kannten auch Emilie und Paps meine sonderbare Gabe, Geschehnisse
zu sehen. Doch alle drei waren
unerreichbar weit weg, in einem anderen Universum, das ich nie wieder betreten
durfte.
Gerade,
als ich dachte, wie unbedeutend ich in dieser Welt war – niemand kannte mich,
bis auf Erik –, da schob mich die Wache vor eine untersetzte, rundliche Frau in
den Sechzigern und präsentierte mich als kleine
Maid, die er auf dem Hügel erwischt hätte.
»Ich
übergebe sie hiermit in deine Verantwortung«, knurrte die Wache und wollte sich
schon zum Gehen abwenden.
»Moment
noch!«
Die
rundliche Frau starrte mich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Misstrauen
an.
»Wo
hast du sie gefunden?«, fragte sie, ohne den Blick von mir zu wenden.
»Das
sagte ich doch. Auf dem Hügel. Ich dachte, ich hätte dort einen Lichtblitz gesehen,
deshalb ging ich nachschauen. Da fand ich sie.«
Wieder
wollte er sich abwenden, wieder hielt die ältere Frau ihn zurück.
»Du
bleibst hier! Zu niemandem ein Wort darüber, hast du verstanden?«, sagte sie in
ziemlich scharfem Ton. Dann sah sie sich um, als ob sie sich vergewissern
wollte, dass wir auch wirklich allein waren.
Wollen die mich gleich
um die Ecke bringen?
Der
Mann – er war mindestens drei Köpfe größer als die Frau – hob nur die
Augenbrauen und setzte sich dann schulterzuckend an den groben Holztisch, der
mitten im Raum stand. Er begrub den Stuhl förmlich unter seiner Körperfülle.
Die
Frau wandte sich nun mir zu und strich sich nachdenklich über die Schürze, die
sie über einem für mich mittelalterlich aussehenden Kleid trug. Ich beäugte sie
misstrauisch.
»Wie
heißt du?«, fragte sie geradeheraus. Sehr forsch.
»Lovisa«,
murmelte ich verunsichert.
Die
Frau nickte wissend, so, als ob sie diese Antwort erwartet hätte. Was um
Himmels willen ging hier vor sich?
»Komm
mit!«, befahl sie und ging einfach los. Genauso sicher, wie sie sich
offensichtlich war, dass ich ihr widerspruchslos folgen würde, genauso sicher
setzten sich meine Füße in Bewegung. Diese Frau war es gewohnt zu befehlen und
Gehorsam zu erhalten. Das stand ihr förmlich auf die Stirn geschrieben. Ich war
mir ziemlich sicher, dass sie eine Art Oberhaushälterin war. Vermutlich schmiss
sie den gesamten Laden bereits seit
Urzeiten.
Sie
führte mich durch mehrere Räumlichkeiten der Bediensteten, bevor wir eine
enorme Halle betraten, die genauso aussah, wie sich jeder den Empfangsbereich
in einem Schloss vorstellte: riesig, mit einer breiten, nach oben hin schmaler
werdenden Treppe und einem kunstvoll verzierten Geländer, einer
verschwenderisch hohen Decke mit eingelassenen Fresken, römischen Fenstern mit
langen, schweren Vorhängen aus rotem Samt und Gold, wohin das Auge blickte.
Mein
Auge blickte gerade auf ein Portrait mit einem mächtigen goldenen Rahmen, aus
dem ein junges Mädchen auf mich herablächelte: ich! Mit offenem Mund starrte
ich mir selbst entgegen, doch dann sah ich die feinen Unterschiede. Die Frau
hatte braune Augen, hohe Wangenknochen, einen kleinen Busenansatz und lange,
leicht gewellte, dunkelblonde Haare. Sie war schlank, fast dünn. Ich dagegen
hatte braunes Haar und eine mehr frauliche Figur. Wenn man meinen Busen derart
in ein Korsett quetschen würde, wäre üppiger
Busenansatz noch gelinde ausgedrückt. Ich war nicht dick, aber ich war mehr
der busige, hüftige Typ. Abgesehen von diesen paar Kleinigkeiten, war das
Porträt mir wie aus dem Gesicht geschnitten.
Ich
war mir zu hundert Prozent sicher, dass es Ulrika in jungen Jahren darstellte,
meine leibliche Mutter.
Siedend
heiß fielen mir Eriks Worte wieder ein: »Ulrikas Titel ist Kronprinzessin Ulrika Lovisa Hedwig von Schweden. Was dich
natürlich zu Prinzessin Lovisa Ulrika
Hedwig von Schweden macht.«
Ich
starrte das Porträt genauso ungläubig an, wie ich Erik angestarrt hatte. Er
hatte die Wahrheit gesagt. Obwohl ich ihm letztendlich seine Geschichte
abgenommen hatte, so wurde mir jetzt bewusst, dass ich diesen Teil wohl eher
verdrängt hatte, als ihn tatsächlich für bare Münze zu nehmen. Prinzessin. Ich!
Ich
schluckte und riss mich von Ulrikas Blick los, der mich durch die Halle zu
verfolgen schien.
»Du
bist ihr sehr ähnlich«, sagte die rundliche Frau mit gedämpfter Stimme. Sie
musterte mich eingehend. Vermutlich hatte sie jede Kleinigkeit meiner Reaktion
registriert. Sie nickte wieder, wissend, dann schritt sie die breite Treppe
hinauf. Ich hastete ihr hinterher, darauf bedacht, Ulrikas Augen zu entkommen,
die mir tief in die Seele zu blicken schienen.
Willkommen zu Hause,
mein Engel,
vernahm ich ihre Stimme in meinem Kopf. Sag
meinem Vater, dass ich ihn liebe …
Ich
zog scharf die Luft ein und schloss zu der Frau auf, die nun einem Gang folgte,
der im Halbkreis über der Empfangshalle verlief, und ignorierte Ulrika
erfolgreich. Das Geländer schimmerte golden, war mit Ornamenten, Symbolen und
Wesen versehen, von denen einige wie Engel aussahen, nur dass ihre Flügel eher
denen von Fledermäusen glichen.
»Warte
hier!«, wies die Frau mich an.
Sie
ließ mich einfach vor einer breiten Doppeltür stehen, hinter der ich gedämpfte
Musik vernahm. Klavier. Ich liebte Klavier. Sie schloss die Tür vor meiner
Nase. Ich überlegte kurz, ob ich den Moment nutzen sollte, um zu fliehen. Doch
wohin? Bevor ich einen Entschluss fassen konnte, schlug die Tür wieder auf, und
ein großer, hagerer Mann stand mir gegenüber. Seine Augen blitzten erzürnt über
die Störung seines königlichen Alltags, doch dann fuhr der Funke des
Wiedererkennens über sein furchiges Gesicht. Er starrte mich an, als wäre ich
ein Geist. Vermutlich war es genau das, was er dachte.
»Sie
ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, nicht wahr?«, hörte ich eine sanfte
Stimme. War das tatsächlich die Stimme der resoluten Haushälterin? Nun trat sie
auch noch neben den Mann und legte ihm in einer vertraulich wirkenden Geste die
Hand auf den Arm.
»Das
ist nicht Ulrika, Gustav.«
Gustav
schluckte und räusperte sich.
»Nein,
natürlich nicht, Maria«, murmelte er. Dann schien er sich zu fassen. Er sah
abwechselnd mich und Maria an.
»Sie
heißt Lovisa. Und ich würde wetten, dass sie Ulrikas Tochter ist, deine
Enkelin«, sagte Maria leise. »Ein Gentest wird es sicher zeigen. Olle hat sie
auf dem Hügel gefunden, nachdem er dort einen Lichtblitz zu sehen glaubte.«
Der
Mann namens Gustav schluckte erneut. Er starrte mich ähnlich ungläubig an wie
ich ihn. Enkelin? Das war mein Opa?
Ulrikas Vater … Der König …
»Kann
es wirklich möglich sein?«, flüsterte Gustav und streckte die Hand nach mir
aus.
Ich
weiß, dass ich sonst immer recht mutig rüberkomme, doch das ging mir ein
bisschen zu schnell. Ich trat einen Schritt rückwärts und stieß mit jemandem
zusammen. Erschrocken wirbelte ich herum und konnte gerade noch verhindern,
einen verschrumpelten Greis zu Boden zu befördern, indem ich mich zur Seite
warf. Der Alte murmelte etwas vor sich hin, glättete seinen Pinguinfrack und
erstarrte in der Bewegung.
»Ulrika,
Ihr seid zurück?«, hauchte er, vollkommen aus der Bahn geworfen.
Ȁh
…«, sagte ich und sah hilfesuchend zu Maria. Sie eilte herbei und stützte den
nun schwankenden Greis mit ihrer Körperfülle.
»Das
ist nicht Ulrika«, sagte sie freundlich. »Das ist, wenn mich nicht alles
täuscht, ihre Tochter Lovisa.«
Der
alte Mann sah mich aus glasigen Augen an, dann versank er in einer Verbeugung.
»Willkommen
auf Schloss Liljaholm, Prinzessin Lovisa«, sagte er unter Tränen.
»Ich
… äh … Danke?«, brachte ich eher fragend als überzeugend hervor. Von einem
Schloss Liljaholm in Schweden hatte ich noch nie etwas gehört. Aber das hier
war ja auch ein anderes Schweden …
»Wir
sollten nichts übereilen«, murmelte Gustav und strich sich mehrfach über sein
faltiges Kinn. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen. Er sah mich
kopfschüttelnd an – immer noch eher an einen Geist glaubend.
»Veranlasse
einen Gentest «, wies er den alten Mann an. »Wir müssen Gewissheit haben … Bis
dahin müssen alle Stillschweigen bewahren. Nichts hiervon darf nach außen
dringen! Maria? Olle, wo ist er?«
»Ich
wies ihn an, auf mich zu warten und mit niemandem zu reden«, antwortete die
Haushälterin zu Gustavs Zufriedenheit.
»Sie
bekommt eines der Gästegemächer.« Er sah mich dabei an.
Alles
ging so schnell, hier passierte so viel auf einmal, dass ich mich nicht
aufraffen konnte zu protestieren. Außerdem klang Gästegemächer nicht nach Kerker und Strafe, also hielt ich erst
einmal den Mund.
»Stellt
eine Wache vor ihrer Tür auf.«
Moment
mal! Mein Kampfgeist erhob sich. Marias Hand legte sich auf meinen Arm, sie sah
mich streng an. Dass sie meine Gefühle so schnell erraten hatte, nahm mir den
Wind aus den Segeln. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte Gustav seine
Befehle erteilt und sah mich noch einmal kopfschüttelnd an, dann wurde die Tür
zum zweiten Male vor meiner Nase geschlossen. Doch dieses Mal war ich nicht
allein. Maria und der alte Mann, den sie mir nun als Gustavs persönlichen
Kammerdiener vorstellte, standen mit mir auf dem Gang.
»Das
lief doch ganz gut«, sagte Maria zufrieden.
Ich
sah sie ungläubig an.
»Du
musst ihm Zeit geben, Mädchen«, fuhr sie fort und tätschelte meinen Arm.
Der
Greis schenkte mir ein faltiges Lächeln, verbeugte sich erneut vor mir und trat
erst einen Schritt rückwärts, bevor er sich mit den Worten »Ich werde Eure
Gästegemächer herrichten lassen« entfernte.
Ich
starrte ihm perplex nach. Worte wie Ihr
und Euch auf mich bezogen zu hören,
war so ungewohnt, dass es mir eine Gänsehaut verpasste. Maria übernahm wieder
die Initiative, schob mich vor sich her zur Treppe und verkündete: »Und jetzt
werden wir dir etwas zu Essen besorgen!«
Mein
Magen knurrte seine Zustimmung.
Einige
Verhaltensregeln später – ich sollte mich in meinen Räumen aufhalten, mich nur
mit dem mir zugewiesenen Personal unterhalten und beten, dass der Gentest mich
als Prinzessin Lovisa auswies – saß ich vor einem dampfenden Teller mit
Würstchen und Kartoffelbrei neben dem Riesen Olle, der mich nun doch neugierig
musterte. Offenbar war ihm keine seltsame Ähnlichkeit mit einer vor siebzehn
Jahren spurlos verschwundenen Kronprinzessin aufgefallen. Vielleicht war er
noch nicht so lange in Gustavs Diensten. Und er sah auch nicht so aus, als
hätte er die Empfangshalle jemals von innen gesehen. Maria erklärte ihm, dass
ich nun Gast des Königs sei und dass dieser wünschte, meine Anwesenheit noch
eine Weile geheim zu halten. Ich hatte das Gefühl, dass Olle für weitere
Würstchen alles versprechen würde, denn er schnaubte nur zur Bestätigung und
spießte mit der Gabel eine fette Bratwurst auf.
Ich
hatte tausend Fragen, doch Maria gab mir mit einem Blick auf den Riesen zu
verstehen, dass diese warten mussten. Also aß ich mich schweigend satt, bot dem
Wachmann meine letzte Wurst an, die er dankbar annahm – sich Freunde machen,
stand ganz oben auf meiner To-Do-Liste in dieser neuen Welt –, und grübelte über
meine Situation nach. Ich hätte es schlimmer treffen können. Ich wurde
freundlich behandelt und sollte sogar ein eigenes Zimmer bekommen – wenn auch
mit Wachen vor der Tür. Der Gentest machte mir wenig Sorgen, denn ich wusste,
dass Ulrika meine Mutter war. Doch was dann? Was hatte König Opa Gustav mit mir vor? Ich hatte nicht
die geringste Vorstellung, was auf mich zukommen würde. Zum Glück, sonst wäre
mir mein Essen wohl nicht so gut bekommen …
Maria
brachte mich hinauf zu meinem Zimmer. Ich war ehrlich gesagt froh, gleich
allein zu sein. Ich hatte einiges zu überlegen, und müde war ich auch. Es war
spät geworden, ein langer, ereignisreicher Tag lag hinter mir.
Als
Maria die Tür öffnete und zur Seite trat, traf mich fast der Schlag: Das war
kein Gästezimmer, das waren ganze Gemächer!
»Oh
– mein – Gott!«, entfuhr es mir wenig elegant. Mit offenem Mund sah ich mich
um.
»Ist
alles in Ordnung?«, fragte Maria stirnrunzelnd.
Der
Greis kam aus einem der hinteren Räume angeschlichen. Sein hohes Alter ließ ein
normales Tempo nicht mehr zu. »Ich hoffe, es ist alles zu Eurer Zufriedenheit,
Prinzessin«, sagte er höflich und verbeugte sich abermals.
»Hier
soll ich wohnen?«, brachte ich schließlich überwältigt hervor.
Maria
schien plötzlich zu verstehen. Sie lächelte. »Fühl dich wie zu Hause, Mädchen.
Wenn du was brauchst, dort ist die Klingel. Eine der Mägde wird sich dann
kümmern.«
Ich
sah die beiden sprachlos an. Dann räusperte ich mich.
»Vielen
Dank … Für alles …«, war das Einzige, was mir einfiel.
Maria
nickte nur. »Ruh dich aus. Gustav wird viele Fragen haben, sobald deine
Identität feststeht. Morgen wird ein langer Tag.«
Noch
einer, dachte ich, als sich die Tür endlich hinter den beiden schloss.
An
Schlafen war noch nicht zu denken. Ich inspizierte erst einmal ausgiebig meine
Gemächer und kam mir tatsächlich schon wie eine Prinzessin vor. Die Zimmer
waren gemütlich eingerichtet, trotz des allgegenwärtigen Mittelalterstils, der
nicht nur die Kleidung der Schlossbewohner prägte – außer dem pinguinähnlichen
Frack des alten Mannes natürlich, der passte irgendwie nicht dazu.
Meine
Suite hatte drei Zimmer mit Bad: eine Stube mit einem antiken Kamin, in dem ein
gemütliches Feuer prasselte, ein Schlafzimmer mit einem Himmelbett und ein
Ankleidezimmer, in dem Kleider in diversen Größen hingen – für den Fall, dass
die Gäste einmal nicht genug Gepäck dabei hatten, vermutete ich. Auf dem frisch
bezogenen Bett lag ein Nachthemd bereit – ich dankte dem alten Mann für seine
Voraussicht.
Ich
war ohne Gepäck gereist, was mir nun, wo ich darüber nachdachte, wirklich
dämlich vorkam. Wo hatte ich nur meinen Verstand gelassen? Ich hatte nicht
einmal einen Rucksack mit dem Nötigsten gepackt. Nein, ich war einfach Hals
über Kopf abgereist, ohne Sinn und Verstand. Ich konnte von Glück sagen, hier
gelandet zu sein, und nicht irgendwo in der Wildnis! Ich erinnerte mich, wie
Erik gesagt hatte, dass es ganze Landstriche gäbe, auf denen keine
Menschenseele wohnte. Andererseits: Hätte ich nicht an die Vision gedacht,
sondern an Erik, dann wäre ich jetzt bei ihm und müsste mir keine Gedanken
darüber machen, wie ich ihn finden sollte. Diese Prinzessinnen-Geschichte
mochte ja jetzt von Vorteil sein, doch wie würde sich das auf meine Suche
auswirken?
Ich
ließ meine Klamotten im Bad achtlos auf den Boden fallen, drehte den Wasserhahn
auf und prüfte vorsichtig die Temperatur. Wie mittelalterlich alles auch
anmutete, warmes Wasser gab es jedenfalls. Und die Zimmer waren wohlig
temperiert. Kein kühler Untergrund, den man in einem alten Gemäuer wie diesem
hier erwarten würde. Der prasselnde Kamin war also nur Beiwerk, denn der
alleine würde die Räumlichkeiten nicht annähernd heizen.
Ich
dachte kurz an die Hütte am Geirangerfjord, in der in jedem Raum ein Holzofen
gewesen war, um ihn warm zu bekommen. Dort hatten Erik, Ulrika und ich ein paar
Tage gewohnt, bevor sie …
Schnell
schob ich die unwillkommenen Gedanken beiseite und stieg unter die Dusche. Der
Duschkopf war aus Gold, die Wanne aus Naturstein, aber trotzdem war es
überraschend warm unter meinen Füßen. Die Kabinenwände schienen aus Glas zu
sein, mit aufwändigen Malereien und Schnitzereien. Es gab auch eine Wanne aus
Naturstein. Sie war riesig, mehr wie ein Becken für drei Personen. Was da an
Wasser rein ging! Alles hier schien teuer, aber dennoch einfach. Ich bestaunte
die mittelalterliche Einrichtung mit dem Flair von Reichtum und dachte, dass
die unserer Welt technisch doch um einiges hinterherhinkten.
Bis
ich den ersten Computer entdeckte.
Ich
stand im Schlafgemach am Fenster und versuchte, die schweren Vorhänge vor die
dunklen Löcher zu ziehen, die die hohen römischen Fenster bildeten. Das Glas
eines der Butzenscheiben leuchtete plötzlich auf – ein Touchscreen. Wow! Nun
war ich doch beeindruckt. Ein paar Klicks später verwandelte sich die
Scheibenfläche in schneiende Flocken … Hm, Winterstimmung brauchte ich jetzt
nicht gerade.
Ich
klickte mich experimentierfreudig durch das Fensterscheibenprogramm:
Sonnenstrahlen am Strand, ein Kaminfeuer, Wolken, Aquarienfische, galoppierende
Pferde, oh! Eine ganze Unterwasserlandschaft. Das gefiel mir. Während Fische,
Krebse und sogar ein Wal auf meinem Schlafzimmerfenster ihren Lebensaufgaben
nachgingen, kuschelte ich mich im Bett in die zart nach Vanille riechenden
Laken. Ich hatte mir einen Plan zurechtlegen wollen. Stattdessen fiel ich in
einen tiefen, traumlosen Schlaf. Das einzig Seltsame, das ich kurz vorher noch vernahm,
war Ulrika, die mir ein Gutenachtlied vorsang. Ich drängte sie energisch
beiseite. Das hier war mein Kopf!
Eine
mir wohlbekannte – am frühen Morgen aber äußerst nervige – Stimme weckte mich.
»Josefin,
ich schlafe noch«, stöhnte ich, ohne die Augen zu öffnen. Josefin musste sich wirklich
vorsehen. Irgendwer würde ihr auf dieser Klassenfahrt sicher den Hals umdrehen.
Wenn sie sich nicht sofort verkrümelte, dann würde vermutlich ich diejenige sein.
So liebenswert und lebensfroh Josefin auch war, morgens war sie einfach
unerträglich. Ich hasste jeden, der vor neun Uhr schon Worte wie wundervoll, herrlich oder fantastisch
in den Mund nahm, und Josefin schaffte es, diese auch noch trällernd
rüberzubringen.
»Ihr
kennt meinen Namen?«, hörte ich Josefin fragen.
Hä, warum spricht die
so gestelzt?
Würde ich sie nicht besser kennen, hätte ich fast angenommen, sie war
sprachlos. Warum das denn?
»Natürlich«,
seufzte ich und blinzelte in das plötzlich hell erleuchtete Zimmer. Ein
Himmelbett, Vanilleduft, riesige römische Fenster mit schweren Vorhängen und
ein Wal, der quer über die Fensterscheiben schwamm. Und … Josefin.
Mit
einem Ruck fuhr ich in die Höhe.
»Josefin?!«,
fragte ich verstört und starrte meine Schulfreundin oder das Mädchen, das wie
sie aussah, ungläubig an. Sie trug ein Kleid, das mich an Mittelalterfeste
erinnerte. Es war aus grünem Leinenstoff, lang, mit nach unten hin weiter
werdenden Ärmeln. Darüber trug sie eine weiße Schürze. Das Mädchen knickste
gerade vor meinem Bett.
»Ja,
meine Herrin?«, fragte sie in Erwartung meiner Befehle.
Ich
starrte sie weiter an und wäre fast in ein hysterisches Kichern ausgebrochen.
Zum Glück war ich zu verblüfft dafür.
»Man
schickt mich, Euch zu Diensten zu sein«, sagte Josefin und knickste erneut.
»Ich
… äh …« Ich räusperte mich. »Du heißt tatsächlich Josefin?«, fragte ich
misstrauisch. Dieses Mädchen war meiner Schulfreundin wie aus dem Gesicht
geschnitten, sogar ihre Mimik und Gestik waren dieselben. Ich konnte es einfach
nicht fassen. Wie war das möglich?
»Oh
ja, meine Herrin. Wer hat es Euch verraten? Ich bin ab heute für Euch da. Euer
Wunsch ist mir Befehl. Doch erst einmal solltet Ihr Euch waschen, damit ich
Euch beim Ankleiden behilflich sein kann. Sobald ich Eure Größe kenne, werde
ich Euch eine Garderobe zusammenstellen, auf die Ihr zurückgreifen könnt,
solange Ihr hier zu Gast seid. Ihr habt einen wunderschönen Teint und solch
frauliche Figur. Mir schweben da bereits herrliche Modelle vor, die Euch
hervorragend kleiden und Eure schönen Augen zur Geltung bringen werden.«
Während
Josefin weiterplapperte, ratterte es in meinem Hirn. Ein Gespräch mit Erik kam
mir in Erinnerung.
Er
hatte mir erklärt: »Es gibt unendlich viele Welten. Jede Entscheidung, die du
triffst, trägt zu einer anderen Zeitlinie in einer anderen Welt bei. Einige der
Entscheidungen können mehr als nur dich selbst betreffen, sie beeinflussen das
gesamte Geschehen. Daraus resultiert eine völlig neue Zeitlinie. Es gibt
Welten, auf denen du nichts wiedererkennen würdest, aber auch solche, auf denen
nur geringe Abweichungen zu deiner Realität herrschen.«
Sagte
er da, was ich gerade dachte?, war mir in meinen Kopf geschossen, und deshalb
hatte ich nachgefragt: »Du meinst, mich gibt es in unendlich vielen anderen
Realitäten? Gibt es mich auch auf deiner Welt?«
Und
dann hatte ich von ihm erfahren: »Es gibt dich vermutlich in unvorstellbar
vielen Universen, doch niemals zweimal. Der Wechsel ist nur in eine Welt
möglich, in der du nicht schon bist. Weshalb das so ist? Da gibt es viele
Theorien. Eine unwahrscheinlicher als die andere. Also, nein. Dich gibt es in
meiner Welt nicht, denn du warst bereits ein lebendiger Teil von Ulrika, als
sie hierher sprang.«
Ergo:
Das war also eine andere Josefin! Eine Josefin, die mich natürlich gar nicht
kannte und offenbar meine Dienerin war. Wow. Ich fühlte mich peinlich berührt,
doch dann fragte ich vorsichtig: »Du musst also alles tun, was ich verlange?«
Josefin
unterbrach ihren Monolog über Kleider, Schmuck und, weiß der Himmel, was noch
und knickste erneut. »Ich stehe zu Eurer Verfügung, meine Herrin.«
»Super!«,
freute ich mich. »Als Erstes weckst du mich nie wieder mitten in der Nacht! Vor
neun Uhr bin ich nicht ansprechbar.« Ich nickte nachdrücklich, wälzte mich auf
die andere Seite und zog mir die Decke über den Kopf. »Und nenne mich Isa,
okay?«
Sie
schluckte und errötete. Sie fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Ich
seufzte und klopfte mit der Hand auf meine Matratze.
»Setz
dich!«
Sie
bekam riesige Augen und setzte sich natürlich nicht.
»Bitte«,
fügte ich hinzu und klopfte erneut. »Ich beiße nicht. Zumindest nicht, wenn du
versprichst, mich nie wieder ohne Grund so früh zu wecken.«
»Es
gibt aber einen Grund, meine Herrin«, ergriff Josefin den Strohhalm.
Ich
fuhr mir mit der Hand über die Augen. Tatsächlich? »Und der wäre?«, fragte ich
etwas zu barsch.
»Ihr
habt einen Termin beim Palastarzt.«
»Oh«,
machte ich. Der Gentest. »Also gut«, gähnte ich und schwang meine Beine aus dem
Vanillebett.
Josefin
strahlte über das ganze Gesicht. Ihre Fröhlichkeit kehrte genauso schnell
zurück wie die ihrer Doppelgängerin.
»Ich
werde Euch nicht vor neun Uhr wecken, wenn es nicht notwendig ist, meine
Herrin«, versprach sie und ging mir so fröhlich voran, dass sie fast hüpfte.
»Und
nenn mich Isa«, knurrte ich. »Ich meine es ernst!«
Ich
blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Josefin hörte auf zu hüpfen.
»Wenn
Ihr dies ausdrücklich wünscht, werde ich es tun, solange wir unter uns sind.«
Das
war ein Anfang.
»Einverstanden«,
gähnte ich und ging an einer sehr skeptischen Josefin vorbei ins Badezimmer.
Wenn dieses Mädchen genauso gestrickt war wie das aus meiner Welt, dann hatte
sie Freundinnenpotenzial. Denn, auch wenn meine Josefin mir morgens in der
Schule mit ihrer Fröhlichkeit den letzten Nerv raubte, war sie dennoch ein
richtiger Kumpel, auf den man sich stets verlassen konnte.
Während
ich mich wusch und mich danach von Zofe Josefin in ein grünes, mittelalterlich
angehauchtes Kleid für Adelige stecken ließ, kam mir der Gedanke, wer von
meinen Freunden und Bekannten mir hier womöglich noch als Doppelgänger über den
Weg laufen konnte. Ich entschied, dass es ein unglaublicher Zufall sein musste,
dass ich Josefin hier traf.
Erik
hatte erzählt, dass es nur ein paar Millionen Menschen auf dieser Erde gab. Wie
groß war da die Wahrscheinlichkeit, dass gerade meine Bekannten als
Doppelgänger hier vertreten waren? Auch wenn ich es nett gefunden hätte, hier
auch Amanda und Emilie zu treffen, so wären sie ja eigentlich völlig andere
Personen. Nur, weil sie gleich aussahen, waren sie noch lange nicht meine
Freunde. Und irgendwie käme es mir sogar wie ein Verrat an den Originalen vor.
Mit
Josefin würde das schon irgendwie klappen. Meine Josefin gehörte jedenfalls zu
den unkompliziertesten Menschen, die ich kannte. Ich sah meine Freunde vor mir:
Josefin – immer fröhlich –, Amanda – stets auf ihren Vorteil bedacht, aber
trotzdem liebenswert – und Emilie – immer bemüht, es allen recht zu machen,
eine Seele von Mensch, mit einem Herzen aus Gold. Emilie …
Die
Vision erwischte mich eiskalt.
Emilie stieß einen
unterdrückten Schrei aus und schlug sich die Hände vor den Mund. Sie kauerte
verängstigt hinter ein paar spärlich belaubten Büschen und starrte mit weit
aufgerissenen Augen durch die dünnen Zweige auf etwas, das sich meinem Blick
entzog. Schritte stampften über Kies, es raschelte, dann eine strenge Stimme.
»Waffen weg und mit
erhobenen Händen langsam herauskommen!«
Emilie zuckte zusammen,
als wäre sie geschlagen worden, dann begann sie, wie Espenlaub zu zittern. Sie
hob den Blick und sah mir direkt in die Augen.
Hilfe!
Ihre
stumme Bitte traf mich wie ein Blitzschlag. Ich erwachte und starrte direkt in
Josefins Augen, die mich zutiefst erschüttert ansahen. Oh, verdammt, mein
Timing war wieder einmal erschreckend.
»Geht
es Euch gut?«
Ich
zitterte und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Emilie? Sie war in
Gefahr? Wo? Und vor allem, wann? Meine Visionen waren da nicht sehr spezifisch.
Um genau zu sein, wusste ich erst seit Kurzem, dass es tatsächlich echte
Visionen waren und diese durchaus aus verschiedenen Zeiten stammen konnten.
Sogar aus verschiedenen Welten. Aber Waffen?
Als
ich Josefin nicht antwortete, lief sie zur Tür und zauberte dort eine
Computerkonsole hervor.
»Ich
rufe Hilfe«, murmelte sie. Zum Glück war sie da genau wie meine Josefin, sie
redete immerzu und sprach meist auch ihre Gedankengänge laut aus, bevor sie
handelte.
»Nein!«,
schrie ich und war mit zwei Sätzen bei ihr. Ich schubste sie fast von der
Konsole fort, so dringend war es mir, sie an ihrem Vorhaben zu hindern.
Josefin
wich erschrocken vor mir zurück, ich versuchte, mich zu beruhigen. Wie mochte
ich für sie aussehen? Das Bild von Ulrika kam mir in den Sinn, wie sie mit
irrem Blick durch mich hindurchsah und panisch ihre Hände rieb. Ich atmete tief
ein, sah Josefin direkt in die Augen und gab mir Mühe, so normal wie möglich zu
klingen.
»Es
geht mir gut. Wirklich«, fügte ich hinzu, denn ihr Gesichtsausdruck sprach
Bände. »Das ... hm … was eben passiert ist, möchte ich gern für mich behalten.«
Ich
zögerte. Eigentlich hatte ich keine Ahnung, wie ich es Josefin begreiflich
machen sollte, dass niemand davon erfahren durfte, ohne ihre Neugierde zu sehr
zu wecken. Außerdem war ich nicht sicher, was genau sie sich aus meiner
Reaktion zusammenreimte. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich mich verhalten
hatte. Hatte ich nur stocksteif dagestanden oder hatte ich etwas gesagt? Als ich
die Vision vom bestialischen Mord an Gunnar in Amandas Flur gehabt hatte, da
hatte ich laut Emilie geschrien wie
am Spieß.
Emilie! Ihr stummer Hilferuf
schickte mir eine grausige Gänsehaut über den Rücken. Ich wünschte mir sofort
die nächste Vision herbei, obwohl ich weder das Josefin-Problem gelöst noch
Einfluss auf meine Visionen hatte. Ich konnte sie nicht nach Belieben
herbeiholen, sie kamen einfach über mich.
Josefin
blickte mich äußerst skeptisch an.
»Ich
muss alle … Besonderheiten melden«, sagte sie vorsichtig. »Aus welchem Grund
sollte ich diesem Befehl nicht gehorchen?«
»Bitte.«
Ich sah Josefin flehend an. »Ich bin nicht krank. Ich hatte eine Erinnerung.
Etwas, das nur mich selbst etwas angeht«, versuchte ich es mit der
Halbwahrheit.
Sie
sah mich wachsam an. Ihr Blick huschte zur Konsole und zu mir zurück. Ich trat
einen Schritt rückwärts. Wenn ich sie jetzt zwang, dann würde sie mein
Verhalten bei erstbester Gelegenheit melden, davon war ich überzeugt.
So ist es gut. Folge
deinem Instinkt,
flüsterte Ulrikas Stimme in meinem Kopf. Mein Blick flackerte. Ich hoffte,
Josefin hatte es nicht gesehen.
»Ihr
habt das Zweite Gesicht«, hauchte Josefin auf einmal.
»Ich
habe was?«, fragte ich verwundert.
Sie
druckste herum. Rang mit sich selbst und ihrem Gehorsam dem König gegenüber.
»Ich
kenne … diesen Blick«, sagte sie dann widerwillig. »Meine Großmutter hatte das Zweite
Gesicht. Sie sah manchmal … Dinge, bevor sie geschahen.« Sie musterte mich
eingehend.
Mir
stockte der Atem. Ich war entlarvt!
»Sie
hielt es auch geheim«, überraschte mich Josefin aufs Neue. »Sie sagte, falls
ich jemals ihre Gabe verspüren sollte, dürfte ich niemandem davon erzählen.
Niemals …«
Ich
schluckte. Niemals.
Niemals!, flüsterte Ulrika in
meinem Kopf.
Ja,
ja, ich hab ja verstanden, dachte ich grimmig.
»Verratet
mein Vertrauen nicht«, flüsterte Josefin. »Ich kann es mir nicht leisten, diese
Stelle zu verlieren.«
Ich
nickte, atmete erleichtert aus.
»Niemals«,
sagte ich leise. »Und nenn mich bitte Isa.«
Ein
Lächeln huschte über Josefins Gesicht.
»Das
werde ich, … Isa.«
Ich
merkte, dass es sie einige Überwindung kostete, mich beim Vornamen zu nennen.
Doch sie hatte es getan, als ein Band, als einen gegenseitigen
Vertrauensbeweis.
Marita Sydow
Hamann
Die Autorin schreibt Kinderbücher sowie Fantasy und Romantasy für Jung und Alt.
Ihre Interessen sind die nordische und die griechische Mythologie mit all ihren Wesen.
Speziell Trolle findet sie faszinierend. Aber auch Geister, Elfen, Drachen, Magier, mystische Begebenheiten, Romantik und Science Fiction Elemente könnt ihr bei der Autorin finden.
Sie ist nicht auf ein Element festgelegt und immer offen für neue Ideen.
Die Autorin schreibt Kinderbücher sowie Fantasy und Romantasy für Jung und Alt.
Ihre Interessen sind die nordische und die griechische Mythologie mit all ihren Wesen.
Speziell Trolle findet sie faszinierend. Aber auch Geister, Elfen, Drachen, Magier, mystische Begebenheiten, Romantik und Science Fiction Elemente könnt ihr bei der Autorin finden.
Sie ist nicht auf ein Element festgelegt und immer offen für neue Ideen.
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