Samstag, 12. November 2016

Dunkle Zeiten von Dörte Kunz



Klappentext:
Diktator Bodo Kaiser hat durch einen Militärputsch die Macht an sich gerissen und verfolgt nur ein Ziel: Ultimative Kontrolle über ein ausländerfreies Deutschland. Er zwingt die Ausländer in Ghettos und überwacht das Volk mit implantierten GPS-Chips. In dieser unwirtlichen Zeit verliebt sich Mark in Leyla, die mit ihrer Familie aus Syrien geflohen ist, in der Hoffnung, in Deutschland eine neue Heimat zu finden. Nicht nur die Pläne des rechtsgerichteten Kanzlers bedrohen die junge Liebe, auch Ali, Leylas Freund aus Kindertagen, treibt immer wieder einen Keil zwischen die beiden. Es kommt der Tag, an dem Leyla eine Entscheidung treffen muss. Wählt sie die Liebe in Gefangenschaft oder die bloße Hoffnung auf Freiheit?

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Leseprobe Kapitel 4
»Die Jungs haben ganz schön dumm geglotzt, als sie uns gesehen haben.« Flo kicherte leise und Leyla stimmte ein. »Und erst die Gesichter, als Isaak ihnen eröffnet hat, dass wir ab jetzt Teil des Teams sind.« Die Mädchen sahen sich an, zogen eine Grimasse und prusteten los.

»Ohne uns sind die aufgeschmissen«, behauptete Flo kühn, »dieser Mark hat keine zwei Schritte in Folge hinbekommen. Der sah aus, als hätte er die Choreo heute zum ersten Mal gesehen, dabei trainieren die das schon seit Wochen.«

»Na ja, so schlecht, war er nun auch wieder nicht«, erwiderte Leyla, selbst überrascht, dass sie Marks Partei ergriff. Argwöhnisch blinzelte Flo sie an.

»Findest du den etwa cool?« Flo hakte sich bei Leyla ein und stieß sie mit der Schulter an. Leyla schüttelte den Kopf. »Quatsch! Was du gleich wieder denkst. Ich finde ihn ...«, Leyla strich sich mit der Hand eine Haarsträhne hinter das Ohr und überlegte. »Ich find ihn nett.«

»Nett ist die kleine Schwester von Scheiße.« Leyla rempelte Flo leicht an, welche stolpernd weiterschnatterte. »Ich weiß echt nicht, was du an dem findest. Der ist doch ein totaler Langweiler. So angepasst und weichgespült. Als würde es was bringen, wenn sich alle einmal brav die Hände schütteln.«

»Wäre es dir lieber gewesen, die hätten sich gekloppt?«

»Nee, natürlich nicht. Vor allem, weil du dich unbedingt noch mit Ali anlegen musstest. Der Typ hat sie nicht alle. Das ist dir doch klar, oder?«

»Ali ist okay, wenn man weiß, wie man mit ihm umgehen muss«, brummelte Leyla.

»Das haben wir heute gesehen!«, schimpfte Flo, »weißt du eigentlich, wie viel Glück du hattest? Wenn der Weichspüler nicht dazwischen gegangen wäre ...« Flo beendete den Satz nicht, sondern seufzte auf. »Warum habe ich ständig das Gefühl, auf dich aufpassen zu müssen?«

»Wie kommst du denn darauf? Kann ich gut alleine!« Leyla war wütend. Flo war ihre beste Freundin, aber es gab Augenblicke, da mutierte sie zur Mutti. So wie jetzt. Leyla löste sich von Flo und zog sich die Kapuze ihres Parkas tief ins Gesicht.

»Jetzt sei nicht so!«, bat Flo, die instinktiv begriffen hatte, dass sie die magische Grenze überschritten hatte. Niemand durfte Leyla sagen, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Auch sie nicht. Natürlich wusste Flo, dass Leyla es hasste, bemuttert zu werden. Es gab da diese unsichtbare Mauer zwischen ihnen, die sie nicht überwinden konnte, so sehr sie es auch versuchte.

Flo und Leyla kannten sich nun schon mehrere Jahre. Leyla war mit ihren Eltern dem Flüchtlingsstrom gefolgt und hatte Europa kurz vor der Schließung der Grenzen erreicht. Ihre Familie schlug sich bis Deutschland durch und endete, wie so viele vor ihnen, im Ghetto. Flo bemerkte sie zum ersten Mal im Supermarkt, wo sie verzweifelt versuchte, sich zwischen den Regalen zu orientieren. Sie hielt eine dieser Wertmarken in der Hand, mit denen die Flüchtlinge Lebensmittel erwerben konnten. Flo hatte sie damals angesprochen und ihr mit Gesten zu verstehen gegeben, dass sie ihr helfen wollte. Leyla hatte vorsichtig, fast abweisend reagiert, doch Flo hatte sich nicht beirren lassen. Als sie wenige Wochen später in der Schule auftauchte, wo sie in einer Flüchtlingsklasse Deutsch lernte, freundete Flo sich mit Leyla an, auch wenn Leyla sich anfangs sträubte.

Inzwischen hatten die beiden Mädchen das Haus erreicht, in dem Flo wohnte. Der alte Plattenbau aus den Siebzigern machte einen verwahrlosten Eindruck. Die Wände waren mit Graffiti beschmiert und das Glas der Eingangstür war vor langer Zeit durch Pappe ersetzt worden.

»Ich werde dann mal«, murmelte Flo und wandte sich zum Gehen.

Leyla hielt sie am Arm fest. »Es tut mir leid, Flo«, flüsterte sie, »du weißt, ich kann das nicht haben ...«

Flo hob die Schultern und seufzte. Kurz sah sie Leyla an, die jedoch kein weiteres Wort von sich gab. Niedergeschlagen drehte Flo sich um und ging zum Haus.

»Morgen, wie immer?«, rief Leyla ihr hinterher. Flo hob die Hand, statt einer Antwort und schloss die Tür hinter sich. Leyla verharrte einen Moment und setzte sich dann wieder in Bewegung. Mit zügigen Schritten folgte sie der Straße, während sich ihre Gedanken eigene Wege bahnten. Sie dachte an Mark, der eingeschritten war, bevor Ali ihr etwas antun konnte. Sie wusste, dass sie unüberlegt gehandelt hatte, auch wenn sie das vor Flo nicht zugeben wollte.

Mit Ali Hemidi legte man sich einfach nicht an. Sein Bruder Erkan war der ungekrönte König des Ghettos und der zweifelhafte Ruhm des großen Bruders färbte auf Ali ab. Niemand wusste, welche Konsequenzen ein Streit mit den Hemidi-Brüdern haben konnte, aber die Gerüchteküche brodelte. Wann immer es Ärger im Ghetto gab, waren die Hemidi-Brüder nicht weit. Erkan hielt hier im Viertel die Fäden in der Hand. Egal, ob es um legale oder illegale Geschäfte ging. Er war stets beteiligt und verdiente mit. Niemand würde es wagen, sich ihm zu widersetzen. Wenn Erkan dein letztes Hemd haben wollte, war es besser, nackt zu laufen, als sich gegen ihn aufzulehnen. Leyla kannte Ali und Erkan besser, als es ihr lieb war, und tat normalerweise ihr Bestes, den Brüdern aus dem Weg zu gehen.

Immer noch in Gedanken versunken, bog sie in ihre Straße ein und wäre fast mit Ali zusammengeprallt, der in einem Türbogen gewartet hatte und sich ihr in den Weg stellte.

»Was sollte das heute, Leyla«, ranzte er sie an.

Leyla hob das Kinn und sah ihn mit festem Blick an. »Ich weiß nicht, was du meinst«

Ali straffte sich in einem verzweifelten Versuch, größer zu erscheinen. Leyla hatte den Wunsch einen Schritt zurückzutreten, wusste aber, dass er dies als Niederlage ihrerseits werten würde.

»Du solltest besser auf dich aufpassen!«, zischte er, »ich werde mir von einer Schlampe in der Öffentlichkeit nicht dumm kommen lassen!«

»Ach so? Deshalb hast du mir also Prügel angeboten?« Spöttisch hob Leyla eine Augenbraue.

»Würde ich jederzeit wieder machen, wenn du mir keinen Respekt zeigst«, entgegnete Ali wütend. »Du bist definitiv zu weit gegangen.«

»Respekt?«, höhnte Leyla, »den musst du dir erstmal verdienen!«

»Sei froh, dass ich auf dich aufpasse. So, wie du dich benimmst, könnte man dich für eine deutsche Schlampe halten. Liegt wohl am schlechten Umgang!«

»Ausgerechnet du faselst von schlechtem Umgang?«, schnaubte Leyla verächtlich, »der liegt bei euch doch in der Familie!«

»Pass auf, was du sagst!«, drohte Ali, der jetzt Mühe zu haben schien, sich zu beherrschen. Leyla wusste, dass sie am Rande des Vulkans tanzte und doch konnte sie nicht zurück.

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, blaffte Leyla wütend, »wenn ich den richtigen Leuten erzähle, was Erkan getan hat, dann ist Sense!«

»Nichts wirst du!« Ali packte Leyla am Kragen, »du weißt gar nicht, was damals passiert ist. Du hast kein Recht, Erkan zu verurteilen!«

»Sag das meiner Familie. Sag meiner Mutter, dass es nicht Erkans Schuld ist, dass Mehmet jetzt tot ist!« Leyla riss sich los, machte einen Bogen und lief los. Ali folgte ihr. »Du hast keine Beweise! Niemand weiß, wie das abgelaufen ist, es war keiner von uns dabei. Soll ich meinen eigenen Bruder verdächtigen? Würdest du das an meiner Stelle?«

Leyla drehte sich zu ihm um und starrte ihn wutentbrannt an. »Ich würde wissen wollen, was damals wirklich passiert ist. Schließlich war Mehmet nicht der Einzige, der ums Leben kam. An den Händen deines Bruders klebt Blut!«

Ali sah sie mit großen Augen an. Er setzte an, um etwas zu erwidern, überlegte es sich aber anders und zuckte nur mit den Schultern. Er steckte die Hände, die immer noch zu Fäusten geballt waren in die Jackentaschen, und fixierte sie mit kaltem Blick. Leyla schnaubte, drehte sich um und lief los. Die Auseinandersetzung mit Ali hatte ihr die letzte Kraft geraubt, doch sie zwang sich, mit geradem Rücken und festen Schritten, das Sichtfeld von Ali zu verlassen, obwohl sie am liebsten mit hängenden Schultern nach Hause geschlurft wäre.

Ali sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Obwohl die vergangenen Ereignisse eine tiefe Schlucht zwischen ihre beiden Familien geschlagen hatte, mochte er sie. Sie waren zusammen in dem kleinen Ort in Syrien aufgewachsen, hatten in derselben Straße gelebt, bis der Krieg das Land und das Leben ihrer beiden Familien zerstörte.

Ali zog die Schultern hoch. Erst jetzt bemerkte er die Kälte, die durch seine dünne Jacke zog und ihn frösteln ließ. Als Leyla an der nächsten Straßenecke  verschwand, drehte er sich um und ging durch die dunkle Straße zur Wohnung seines Bruders.

Vita:
Dörte Kunz begann als fiktiver Charakter mit kleinen Geschichten vom Hinterhof. Natürlich hat sie wie jede Protagonistin ein reales Vorbild. Dörte lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in der Nähe von Berlin in einem beschaulichen Vorort. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie als Plappermaul und die Schreiberei bietet eine schöne Abwechslung zu ihrem manchmal turbulenten Alltag.
„Kaiserland: Total Control“ ist der erste Jugendroman von Dörte Kunz, die bisher nur Frauenromane geschrieben hat. Die Idee dazu hatte ihr ältester Sohn, der, wie der Protagonist Mark, auch fünfzehn Jahre alt ist.

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