Sonntag, 29. Mai 2016

Mystica Venezia von Christine Erdiç




Eine verschwundene Braut, ein Sensenmann als Gondoliere, eine blinde Malerin, ein seltsames Zeichen an einer Mauer und ein geheimnisvoller Orden, Guido hat sich seine Hochzeitsreise nach Venedig dann doch etwas anders vorgestellt. Verzweifelt macht er sich gemeinsam mit seiner Schwägerin Ana Karina in den Wirren des Karnevals, der durch die engen Gassen der Lagunenstadt tobt, auf die fast aussichtslose Suche nach Christina Maria und stößt dabei auf eine uralte Legende. Ab 14 Jahren
Mystica Venzia gibt es im Buch- und Onlinehandel (z.B. Amazon) oder direkt beim Karina- Verlag.

Leseprobe

 „Ich dachte immer, Hexen wohnen im Wald“, meckerte Guido unzufrieden.
„Sei mal froh, dass sie hier in der Stadt wohnt und wir nicht noch durch einen Wald kraxeln müssen, jetzt im Dunkeln“, zischte Ana Karina verärgert zurück. Ergeben seufzend trottete Guido hinter seiner Schwägerin her, die jetzt die alte Holztür öffnete und langsam die knarrenden Stufen emporstieg. Im Flur roch es undefinierbar nach Essensresten, Schimmel und angefaultem Holz. Das Haus hatte sicherlich auch schon bessere Zeiten gesehen. Guido rümpfte angewidert seine Nase.
Natürlich wohnte die Hexe ganz oben unter dem Dach. Wie konnte es auch anders sein?!
Guido schnaufte und rang nach Luft. Doch dann fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
‚Wie eine Kröte sieht er aus‘, dachte Ana Karina und grinste vergnügt vor sich hin. Die Tür war aufgegangen, noch bevor sie klopfen konnten, und vor ihnen stand eine wunderschöne Frau mit den faszinierendsten Augen, die Guido je gesehen hatte. Das Blau schimmerte beinahe violett und stand im Kontrast zu den kohlrabenschwarzen Locken, die ein faltenloses und fast markantes Gesicht wie eine Mähne umrahmten.
,Die Hexe trägt Jeans und eine weiße Bluse’, fuhr es Guido durch den Kopf.
„Kommt doch rein, meine Lieben … Ana Karina, mein Herzblatt“, gurrte die Hexe freundlich. Auf ihrer Schulter saß eine weiße Ratte und musterte die Gäste kritisch mit ihren klugen Augen. Ana Karina umarmte Estrella stürmisch und streichelte dann die Ratte.
„Na was ist, junger Mann“, lachte die Hexe. „Willst du da Wurzeln schlagen?“
Drinnen sagte sie belustigt:
„Die Menschen denken immer, ich müsse weiße Haare, ein Kopftuch und eine schwarze Katze auf dem Buckel haben. Aber ich habe schwarzes Haar und eine weiße Ratte. Das haut die meisten erstmal aus den Pantinen. Darf ich vorstellen: Cinderella. Mach einen Knix, altes Mädel.“ Genüsslich blies sie den Rauch ihrer Zigarette durch die Nasenlöcher. Überall im Raum glimmten Räucherstäbchen. Guido hustete, und die Ratte machte doch tatsächlich eine Bewegung auf Estrellas Schulter, die fast wie ein Knix anmutete. Ana Karina grinste.
 „Was führt dich zu mir, Kleines?“, fragte die Hexe.
„Oh wartet, ich bin eine schlechte Gastgeberin.“ Gemeinsam mit Cinderella verschwand sie in der Küche und kehrte nach heftigem Geklapper mit einem Tablett, auf dem drei dampfende Kaffeetassen, eine Zuckerdose, ein Milchkännchen und ein Teller mit allerlei Gebäck standen, zurück.
„Und noch eine irrige Ansicht“, sagte sie mit einem Seitenblick auf Guido.
„Wir stehen nicht unbedingt alle auf Kräutertee.“
„Mein Schwager ist übrigens der Ansicht, dass alle Hexen in einer Hütte im Wald wohnen“, gluckste Ana Karina.
„Ja, wär schön als Altersruhesitz, so eine schicke Hütte im Schwarzwald. Aber ich denke, ich ziehe doch die Zentralheizung einem Ofen vor, und auch die Einkaufsmöglichkeiten sind hier in der Stadt wesentlich besser.“ Sie zog die Stirn kraus und ließ Cinderella über ihren Arm abwärts turnen.
„Aber nur einen Keks, du bekommst sonst ein Bäuchlein“, sagte sie dabei streng. Zu Guidos Entsetzen hüpfte die zierliche Ratte mit einem eleganten Satz direkt auf den Tisch.

©byChristine Erdic

Autorenvita:

Christine Erdiç wurde 1961 in Deutschland geboren.
Sie interessierte sich von frühester Kindheit an für Literatur und Malerei und verfasste schon damals oft kleine Geschichten und Gedichte, die sie jedoch nie veröffentlichte.
Nach dem Abitur war sie in unterschiedlichen Bereichen tätig und reiste viel.
Seit 1986 ist sie verheiratet, hat zwei Töchter und lebt seit dem Millenium in der Türkei.
Unter anderem gab sie Sprachtraining an der Universität von Izmir, machte Übersetzungen und verfasste Berichte für die Türkische Allgemeine, eine ehemalige Zeitschrift in deutscher Sprache und gibt heute noch private Deutschstunden

homepage: http://christineerdic.jimdo.com/

Sonntag, 22. Mai 2016

„Die Jägerin – Die Wiege des Bösen“ von Nadja Losbohm




Band 5

Kurzbeschreibung

Nach ihrer Gefangenschaft und Folter ist Ada zurück in der St. Mary's Kirche und kämpft sich mühsam zurück auf das Schlachtfeld. Während sie hierbei gute Fortschritte macht, gerät das Rätsel um die Existenz der Monster fast in Vergessenheit. Hilfe kommt jedoch von unerwarteter Seite, und plötzlich sehen sich Ada und Michael einer unfassbaren Verschwörung gegenüber, die sich durch die Jahrhunderte zieht und darauf aus ist, eine uralte Schuld begleichen zu lassen...bis in alle Ewigkeit.
Die Lösung, all dem ein Ende zu setzen, ist nahe, doch mit ihr auch eine schwere Entscheidung, an deren Ende es um Leben oder Tod geht...für Pater Michael.
Wie wird Ada sich entscheiden?
Erhältlich bei Amazon.


Leseprobe

„Warum gibt es die Monster?”, fragte Alex, wobei er Pater Michael aufmerksam ansah und auf dessen Antwort wartete.
„Sie symbolisieren die Schlechtigkeit der Menschen. Wegen ihnen gibt es die Kreaturen der Nacht”, antwortete der Padre, kniff die Augen zusammen und musterte Alex neugierig. Er schien ebenso wenig zu wissen wie ich, worauf mein Bruder hinauswollte.
„Was wissen Sie noch?”, wollte Alex wissen.
„Damit es besser werden kann, müssen sich die Menschen, ihre Gedanken, ihr Handeln ändern”, antwortete Pater Michael.
Ich sah, wie sich Alex’ Mund zu einem geheimnisvollen Lächeln verzog und er mit dem Finger auf den Pater zeigte. „Was ist, wenn ich Ihnen sagen würde, dass das falsch ist und es eine andere Lösung gibt?”, fragte er.
Was? Wie bitte? Ich verstand nur Bahnhof! Verwirrt starrte ich meinen Bruder an. Auch Pater Michael konnte seinen Blick nicht von ihm lösen und beobachtete Alex ganz genau. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, was diese andere Lösung sein sollte, stimmte Alex aber in der Hinsicht zu, dass die Menschen unverbesserlich waren. Pater Michael hatte mir vom ersten Tag an gesagt, dass er fest daran glaubte, dass sie sich ändern würden. Ich hatte darüber stets nur müde lächeln können.
Wieder herrschte in der Kirche Stille. Alex hatte unsere volle Aufmerksamkeit und schien es zu genießen, dass er Pater Michael, der ihn ohne zu blinzeln unentwegt anstarrte, in seinen Bann gezogen hatte. „Ich sage es Ihnen ja nur ungern, aber Sie liegen falsch, Pater! Die Existenz der Monster ist mit der Schlechtigkeit der Menschen verbunden, ja, allerdings auf eine andere Weise, als Sie denken. Das würde ja sonst bedeuten, dass bei jedem Verbrechen, jeder Sünde, die begangen wird, ein Monster aus dem Nichts auftaucht! Aber, und jetzt kommen wir zum alles entscheidenden Teil, wir müssen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten, an dem die Menschen sich zum Guten ändern, denn es gibt einen Ursprung…eine Quelle…eine Wiege, aus der die Monster geboren werden. Eine Wiege des Bösen”, erklärte Alex.
Pater Michael sah zu mir nach hinten. Schweigend sahen wir uns an. Ich wusste, dass er dasselbe dachte wie ich. Wir hatten ebenfalls über den Ursprung der Monster nachgedacht. Ich hatte danach gesucht. Doch wie auch immer Alex es angestellt hatte, er war schneller gewesen. Mein Bruder räusperte sich, und ich brach die stille Konversation mit dem Padre ab. „Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, eine Geschichte über unsere Stadt”, teilte Alex uns mit, stand von seinem Platz auf und postierte sich neben dem Taufbecken, als wäre es sein Rednerpult. Er holte übertrieben tief Luft und begann zu erzählen. „Es liegt schon lange, lange Zeit zurück. Damals gab es hier noch keine Stadt, sondern nur ein Dorf, das umgeben war von weiten Feldern und düsteren Wäldern. Inmitten eines dieser Wälder lag das Anwesen einer wunderschönen Frau. Sie war die Witwe eines reichen Mannes und lebte in dem riesigen Haus, abgesehen von ein paar Bediensteten, allein. Die Frau war schön, ja, aber sie wirkte auch kalt und jagte den Anwohnern, überwiegend einfache Menschen, Angst ein, die durch ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten noch geschürt wurde. Verdächtigungen und Gerüchte machten sich darüber breit, was hinter den dicken Mauern des pompösen Anwesens vor sich ging. Die Erwachsenen mochten sie nicht, und die Frau selbst schien die anderen Menschen ebenfalls nicht zu mögen. Bis auf die im Dorf lebenden Kinder. Viele wagten sich, obwohl es ihre Eltern verboten hatten, zu dem Haus. Aber sie hätten lieber auf die Älteren gehört, denn plötzlich verschwanden Kinder und wurden nie wieder gesehen. Als sich diese Vorfälle häuften, geriet sofort die mysteriöse Frau unter Verdacht. Die Menschen schlossen sich zusammen und stürmten das Haus. Einmal im Innern angekommen fanden sie Utensilien und Werkzeuge zur Anwendung von dunkler Magie. Sogar eine Folterkammer entdeckten sie. Aber das war noch nicht das Schlimmste! Denn es gab eine zweite Tür in der Kammer, eingelassen in den Boden. Der Mob war so aufgebracht und verzweifelt vor Sorge um die vielen vermissten Kinder, dass er sich kurzerhand durch die Tür begab und in die unterirdische Anlage eintauchte, die unterhalb des Hauses angelegt worden war. Immer tiefer gelangten die Menschen, krochen durch die Gänge und fanden schließlich die Witwe, wie sie inmitten der Kinder hockte. Tote Kinder”, Alex hatte die letzten Worte nur gehaucht, und es verfehlte seine gespenstische Wirkung nicht. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, und ich zog scharf den Atem ein.
„Sie hat sie alle umgebracht?”, fragte ich schockiert.
Mein Bruder nickte. „Sie hat sie alle getötet. Nichts ist schlimmer, als junges unschuldiges Leben zu zerstören! Doch damit endet die Geschichte noch nicht. Sie hatte sie nicht nur umgebracht, sie hatte ihr Blut in einem steinernen Becken”, er klopfte mit der Hand auf den Rand des Taufbeckens neben sich, ließ es aber abrupt los, als er Pater Michaels verärgerte Blicke sah, weil er es für Blasphemie hielt, dass sein Taufbecken mit einem Sammeltrog für Kinderblut verglichen wurde. Auch wenn Alex das steinerne Becken in der St. Mary’s Kirche nur benutzt hatte, um seine Worte zu untermalen, was seine Kirche und alles, was sich darin befand, anging, gab es für Pater Michael gewisse Grenzen. Alex räusperte sich und warf dem Padre ein verunsichertes Lächeln zu. Es war ersichtlich, dass sich mein Bruder unter den bohrenden Blicken aus den schwarzen Augen des Paters unwohl fühlte. „Erm..also…er”, stotterte Alex und entschied sich dazu, dass es wohl sicherer war, zu mir nach hinten zu sehen, und erneut versuchte er, an seine Geschichte anzuknüpfen. „Sie hatte das Blut in diesem Becken gesammelt, darin gebadet und davon getrunken. Ich sagte bereits, sie war unglaublich schön und hatte große Angst vor dem Älterwerden. Sie war der festen Überzeugung, dass das Blut der Kinder sie davor bewahren würde.”
„So ein Blödsinn!”, dachte ich. Aber dann fielen mir die Männer mordenden Dämonen ein, die die Seelen ihrer Opfer aussaugten. Der Vergleich mit der Frau, die das Blut der Kinder getrunken hatte, um jung und schön zu bleiben, drängte sich mir förmlich auf.
„Die Überreste der toten Kinder lagerte sie in den Räumen unter der Erde, und als Trophäen behielt sie ihre Zähne. Verständlich, dass die Bewohner des Dorfes in ihr das personifizierte Böse sahen, den leibhaftigen Teufel”, bemerkte Alex.


Autorenvita

1982 in Hennigsdorf, Brandenburg, geboren, zog es die Autorin im Alter von sechs Jahren in die deutsche Hauptstadt, wo sie noch heute lebt und arbeitet. Dank der guten Gene ihrer Eltern interessiert sie sich schon seit Kindertagen für das Malen, Zeichnen und Fotografieren. Tat sie sich anfangs noch schwer mit dem Lesen, wurde sie dank einer berühmten Maus rasch zu einer Leseratte. Die Idee, eine eigene Geschichte zu verfassen, ereilte sie im Alter von 19.
Zehn Jahre dauerte es, bis das Erstlingswerk „Alaspis - Die Suche nach der Ewigkeit" fertig gestellt wurde und die Autorin den Mut fand, ihren Traum von einer Buchveröffentlichung mit anderen zu teilen. Am 15.10.2012 erschien die märchenhafte Saga als Ebook und Taschenbuch.
In den Jahren 2013 bis 2015 folgte die mehrteilige Jugendbuchreihe „Die Jägerin“, eine Mischung aus Sci-Fi und Fantasy-Romance mit einem Spritzer Humor.
„Hamster Stopfdichvoll & seine Freunde“ ist das achte Buch aus Nadja Losbohms Feder und das erste Kinderbuch, das sie veröffentlicht hat.

Links






Sonntag, 15. Mai 2016

Seleno: Die Kraft der zwei Monde von Angela Planert



Mit einem außergewöhnlichen Ritual gewinnt Gerrit sein Augenlicht zurück. Seine veränderten Fähigkeiten stellen ihn immer wieder vor neue Herausforderungen, bis er Zusammenhänge mit den Prophezeiungen aus den alten Büchern zu erkennen glaubt.

Sein treuer Gefährte Sanar scheint mehr über seine Veränderungen zu wissen, als er zunächst preisgibt.

Lesealter: (ab 12)
Erhältlich bei Amazon und Thalia.



Leseprobe:
Kelo führte Sanar und Gerrit durch die Gassen. »Ich werde mich bemühen, Euren Wünschen nachzukommen.« Er neigte leicht sein Haupt in Gerrits Richtung, sein schulterlanges blondes Haar glänzte dabei im Mondlicht.
»Danke, Kelo!«
»Bitte hier entlang.« Kelo wies nach links. »Unten am Hafen gibt es ein Gasthaus mit dem besten Wein.«
Gerrit dachte an die erste Begegnung mit Gagat. »Mein letzter Besuch in einem …«
»Wann wollt Ihr in einem Gasthaus gewesen sein?« Sanar zog seine Stirn in Falten.
»Dann wird es aber Zeit«, sagte Kelo.
Gerrit beschloss, diese Angelegenheit für sich zu behalten. »Führt uns dorthin, Kelo.«
Kelo nickte, auch sein blonder Bart, der am Ende spitz zulief, schimmerte ab und zu im Fackelschein. Die meisten Gassen waren nur dürftig beleuchtet, denn nicht an jeder Hausecke brannte ein Licht. Die Wegführung kam Gerrit ziemlich verwirrend vor. Nachdem sie zwei Mal links abgebogen waren, meinte er, im Kreis zu gehen, doch letztlich erreichten sie den Hafen. Allerdings befanden sie sich etwas weiter flussaufwärts als dort, wo sie am Morgen angelegt hatten. Gerrit zweifelte, ob er den Weg ohne Kelo zum Haus der Argusaner finden würde. Hier am Hafen erhellten Fackeln alle Hausecken, sogar zu beiden Seiten einer Holztür brannten zwei Feuerschalen, auf einem eisernen Gestell, welches aus der Wand herausragte. Kelo ging auf jene Tür zu. »Tretet ein!« Er hielt Gerrit die Tür auf. Die Räumlichkeit erinnerte Gerrit augenblicklich an das Gasthaus bei Endanas Burg, nur dieses war viel geräumiger. Ungefähr zwanzig Tische boten den zahlreichen Gästen Platz. Einige spielten Karten, andere erzählten und lachten. Keiner nahm von den Dreien Notiz. In einer schummrigen Ecke führte Kelo Gerrit und Sanar zu einem Tisch. »Setzt Euch, ich bin sogleich zurück.«
Obwohl Kelo groß und kräftig war, wirkte er in diesem Gasthaus ein wenig verloren, als er auf den schmalen Schanktisch zuging, wo er gegen ein paar Goldstücke einen Krug und Becher erhielt.
Gerrit setzte sich. Ein unerklärliches Gefühl von Vertrautheit überkam ihn. Er begann, nach einem bekannten Gesicht zu suchen, welches für diese Empfindung verantwortlich sein könnte. Er schalt sich innerlich. Er war noch nie in Selarun gewesen, hier konnte er niemand kennen.
»Herr!« Sanar beugte sich zu ihm. »Stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch, Sanar.« Es musste einen Grund für seinen Eindruck geben.
Sanar sprach auffallend leise. »Die Argusaner legen Wert darauf, nicht aufzufallen. Ihr solltet versuchen, es ihnen gleichzutun.«
Kelo stellte die Becher auf den Tisch und goss roten Wein ein. Er nahm Platz und hob seinen Becher an. »Willkommen in Selarun!«
»Danke, Kelo.« Abermals sah sich Gerrit in der Menge der Gäste um, denn dieses vertraute Gefühl ließ ihn nicht los. Sanar stieß mit dem Fuß gegen Gerrits Schienbein. »Ihr strahlt Unruhe aus, Herr.«
»Verzeiht, Sanar.« Um sich abzulenken, suchte er das Gespräch mit Kelo. »Sagt, wie viele gibt es von Euch?«
Kelo lächelte. »Das vermag ich nicht zu sagen. Es sind Einige.«
Gerrit knetete seinen rechten Handrücken. »Dann leben außerhalb von diesem Haus noch mehr Argusaner?«
Sanar und Kelo grinsten sich gegenseitig an. »Herr!« Sanar antwortete, »es sind einige Hunderte.«
»Einige Hunderte?«, wiederholte Gerrit verblüfft.
Plötzlich wurde die Tür des Gasthauses heftig aufgestoßen und fünf Krieger stürmten herein. Einen Tisch weiter schreckte eine große, kräftige Gestalt mit schwarzen langen Haaren und Vollbart hoch. Die hellbraunen Augen und die gerade, schmale Nase kamen Gerrit vertraut vor. Eine handgroße Verletzung zog sich vom rechten Wangenknochen bis zur rechten Schläfe hin. Das Auge war leicht geschwollen. Durch einen Sprung aus dem Fenster flüchtete er, die Krieger folgten ihm.
Gerrit erhob sich, als wolle er ihnen hinterherstürmen.
Sanar zog ihn energisch auf seinen Stuhl zurück. »Ihr seid zu auffällig!«
»Das waren Krieger des Konsiliums.« Kelos Augen wirkten erschrocken. »Wenn diese Männer jemanden verfolgen, dann hat diese Gestalt etwas Unrechtes getan und wird dafür bestraft. Die Argusaner werden vom Konsilium unterstützt.«
»Sanar! Dieser Mann – ich kenne ihn.« Das vertraute Gefühl war mit ihm verschwunden.
»Wir dürfen nicht eingreifen.« Kelo goss Wein nach. »Das Konsilium wird bestimmen, wie dieser Mann verurteilt wird.«
Gerrit wollte es einfach nicht einfallen, wer dieser Unbekannte war. »Wohin bringen sie ihn?«
»Auf der anderen Seite des Flusses steht eine Burg, dort werden wichtigen Entscheidungen getroffen. Auch ein großes Verlies für die Verbrecher befindet sich darin.« Kelo nahm einen Schluck Rotwein.
Gerrit sah nur noch dieses Gesicht vor sich, unentwegt fragte er sich, warum er diesen Anblick nicht aus seinem Kopf bekam. Er trank seinen Wein aus. Wahrscheinlich hatte dieser Mann einmal anders ausgesehen, deshalb erkannte ihn Gerrit nicht. In seinen Gedanken kürzte er die Haare, den Bart. Ein Ruck durchfuhr ihn. Blitzartig schoss er in die Höhe und sprang durch das Fenster hinaus.
»Wartet, Herr!« Sanar hechtete ihm hinterher.
Gerrit blickte zuerst die Seitengasse hinauf, dann hinunter. Er sah gerade noch einen der Krieger, bevor dieser nach rechts abbog.
Sanar packte ihn am Arm. »Wir dürfen uns nicht einmischen, Herr.«
Sein Gefährte würde es verstehen, wenn er ihm alles erklärte, dafür blieb aber jetzt keine Zeit. Gerrit eilte die Gasse entlang, spähte vorsichtig um die Ecke. Die fünf Krieger hatten den Mann bereits gefasst und ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Gerrit lief ihnen nach, ohne wirklich zu wissen, was er unternehmen konnte. Es lag ihm fern, sich Ärger mit den Argusanern aufzuhalsen. Er folgte den Kriegern in einer überschaubaren Distanz, zwängte sich dabei dicht an die Hauswände, um nicht aufzufallen. Sanar bemühte sich, ihm auf den Fersen zu bleiben. An einem großen Gebäude hielten die Krieger an und verschwanden mit ihrem Gefangenen darin. Gerrit überlegte, ob er ihn auf der Stelle befreien oder zunächst abwarten sollte.
»Was habt Ihr nur vor?«, schnaufte Sanar, endlich bei Gerrit angekommen.
Gerrit zuckte mit den Schultern. Auf eine derartige Situation war er nicht vorbereitet. Während er fieberhaft nachdachte, sah er zwei Krieger das Haus mit dem Verhafteten verlassen. Mit einem Sack über dem Kopf, mit einem Seil an seinem Hals zugeschnürt, führten sie ihn ab.
»Welch ein bedrückender Anblick«, flüsterte Gerrit Sanar zu.
»Herr! Das ist ein Delinquent.«
»Ich hege da meine Zweifel.«
Erfolglos versuchte Sanar, Gerrit festzuhalten. Dieser eilte den Kriegern den unübersichtlichen Weg bis zum Flussufer nach. Als sie ihren Gefangenen derb in ein Boot stießen und er mit seinen gefesselten Händen ins Stolpern geriet, sah Gerrit die Gelegenheit zuzuschlagen. Er trat an das Boot heran, um mit seiner betörenden Stimme die Krieger zu beeinflussen. »Ich werde ihn dem Konsilium übergeben. Macht Euch auf die Suche nach dem wahren Verbrecher.« Er wiederholte seine Worte, um sicherzugehen, dass beide Krieger seinem Einfluss unterlagen. Wortlos gaben sie den Gefangenen frei und gingen die Straße, die sie gekommen waren, zurück.
»Eure Methoden sind auch nicht die edelsten.« Sanar schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, Euch ist bewusst, was das für Ärger bedeuten wird.«
In diesem Moment war Gerrit gern bereit, einiges in Kauf zu nehmen. Er kletterte in das Boot, zog sein Messer heraus, zerschnitt die Fesseln des Gefangenen und befreite ihn von dem Sack. Als Gerrit dem Mann in die Augen sah, wusste er, dass er richtig gehandelt hatte. Vorsichtig untersuchte er die Verletzung an der rechten Schläfe. »Das sieht nicht gut aus.« An einer Stelle war der Schorf blutig aufgeplatzt.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Gerettete Gerrit ins Gesicht. »Was wollt Ihr von mir?«
Gerrit spürte seine Überraschung. »Ich ... ich wollte Euch das Verlies ersparen.«
»Ich habe keine Goldstücke«, er schüttelte seinen Kopf, »Ich habe nichts, was ich Euch geben könnte.« Nervös schaute er sich um.
»Warum sollte ich dafür etwas verlangen?«
»Herr«, Sanar ergriff Gerrits Arm, »wir müssen verschwinden.«
»Herr? Beim weißen Mond, wer seid Ihr?« Sein unruhiger Blick wechselte zwischen Sanar und Gerrit hin und her.
Diese Frage fühlte sich für Gerrit wie einer gewaltigen Ohrfeige an. Er schluckte hart. Erkannte sein Lehrer ihn nicht wieder? 


Vita:
Angela Planert, Jahrgang 1966, begeisterte sich bereits in der Schulzeit für das Schreiben. Zunächst erlernte sie einen medizinischen Beruf, später füllte die wachsende Familie ihren Alltag aus. Anfänglich zufällige Erfahrungen über den Zusammenhang zwischen dem Mond und seinen Auswirkungen wurde bald mehr, als nur eine Freizeitbeschäftigung.
Seit 2004 widmet sich Angela Planert intensiv dem Leben als Schriftsteller, wobei sie ihre selenorische Erfahrungen gekonnt mit den Elementen des Fantastischen verbindet. So erstanden in den letzten Jahren zahlreiche Manuskripte.

Von der selenorischen Literatur zum Vampirroman über Thriller bis hin zu Science-Fiction und Kinderbücher bieten die Werke vielfältigen Lesestoff.

Neben gewohnten Lesungen sowie Lesungen mit verteilten Rollen im Schulunterricht gehören auch Workshops an Schulen sowie die Organisation von Schreibwettbewerben zur kreativen Gestaltung.

"Fragwürdige Identität" ist 2015 im Verlag Edition Baerenklau erschienen
Ein Gemeinschaftsprojekt »Gedankenwellen der Freude« mit der bekannten Autorin Janine Musewald wurde vom EalaFrya Literatur Verlag verlegt.
»Weihnachtliches Wunder« ist im THG-Verlag erschienen.
Der Vampirroman »Flügel der Dunkelheit« wurde vom Spielberg-Verlag publiziert.
Vier der selenorischen Romane sowie »Drachenseele« wurden beim Amicus - Verlag veröffentlicht.